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Unser Islam

Zum Gebrauchswert von Glaube und Identität in Zeiten der Aufklärungsverdrossenheit

Der politische Islam lockt mit dem Versprechen der Zeitlosigkeit: Er zielt auf das Imago einer medinensischen Urgemeinde und damit auf die Auslöschung von vierzehn Jahrhunderten Geschichte. Zugleich ist er unzweifelhaft eine neuzeitliche Erscheinung, eine Spielart jener für das 20. Jahrhundert so typischen modernen Abwehrideologien gegen die Moderne. Propagiert wird er von intellektuellen Kadern, die nicht selten im verhassten Westen studierten und die die technischen Kommunikationsmedien so versiert wie jeder PR-Berater zu nutzen wissen. Angesichts des islamistischen Spektakels liegt der Gedanke nahe, dessen Berufung auf religiöse Tradition sei genauso substanzlos und talmihaft, wie es schon die neuheidnischen Lehren der Nazis waren, und den Protagonisten gehe es beim Bramarbasieren und Abschlachten weniger um die höhere Ehre Gottes als um die Befestigung der eigenen, höchst irdischen Identität, um das »Menschenrecht auf Beleidigtsein« (Kenan Malik). Andererseits endet jeder Versuch, die islamistische Ideologie von einem authentischen Islam zu unterscheiden, selber in Ideologie. Sie verharmlost nicht bloß die sowohl im Nahen Osten als auch in europäischen Migrantenvierteln seit den achtziger Jahren zu beobachtende autoritäre Islamisierung, unter der vor allem Frauen, Schwule und »Ungläubige« zu leiden haben. Sie dient darüber hinaus der Ehrenrettung einer Religion, die – anders als Judentum und Christentum – nie derart die Konfrontation mit Aufklärung und Säkularisierung und damit auch die Individualisierung zur Privatsache durchlaufen hat. Noch jede Spielart des Islam bestand bislang auf dem Einklang von spiritueller Erfahrung mit alltäglichen Lebensvorschriften, von – im säkularen Sinne – »Religion« und »Politik«. Anders sind die Schnittmengen von Koran und Kommandoerklärung, die Übereinstimmung, die in zahlreichen Fragen zwischen dem Schriftgelehrten, dem Hassprediger und dem einfachen, unverbildeten Gläubigen herrscht, kaum zu erklären. Zu fragen wäre daher nach dem islamistischen Wechselspiel von Vor- und Nachmoderne: nach dem spezifischen Moment, das den Islam aktualisierbar macht für Terror und autoritäre Elendsverwaltung, und den spezifischen Erfahrungen der Moderne, die er dafür zu durchlaufen hatte – darunter auch und vorrangig die Erfahrung des deutschen eliminatorischen Antisemitismus, der den ersten islamistischen Ideologen als Quelle der Inspiration diente.

Zu den bemerkenswertesten Aspekten der islamischen Mobilisierung gehört die Tatsache, dass sie das scheinbar Disparate mühelos unter sich zu vereinbaren weiß: Tagelöhner mit Geschäftsleuten, großstädtische Intellektuelle mit analphabetischen Dorfbewohnerinnen, alteingessene Imame mit entwurzelten Flüchtlingen und Banlieue-Rabauken, arabische Dynastien mit ihren früheren afrikanischen Opfern. Zu untersuchen wird sein, wie es dem politischen Islam gelingt, sich als Bewegung wie als Herrschaftssystem in soziologisch ganz unterschiedlichen Gesellschaften zu entfalten: in Ölrentiersstaaten mit moderner (Iran) oder traditionell-feudaler Sozialstruktur (Saudi-Arabien), in klassischen Schwellenländern (Algerien in den 90ern) wie in ruinierten und von Almosen abhängigen Elendsregionen (Gaza, Afghanistan, Somalia) – und nicht zuletzt in den Banlieues und Communities der westlichen Einwanderungsländer. Der Schein, dass es auf (regionale, klassenspezifische, …) Differenzen nicht ankomme, ist das Versprechen, mit dem der politische Islam zu punkten weiß. Um ihn zu destruieren, wären die spezifischen sozialen Bedingungen, unter denen er jeweils reüssiert, genauso zu rekonstruieren wie die Folgen, die sein Erfolg für Männer und Frauen, für nationale, religiöse und politische Minderheiten, für die verschiedenen Klassen und sozialen Schichten hat. Zugleich hätte eine politisch-ökonomisch fundierte Kritik des Islamismus zu entfalten, worin dessen Einheitsanspruch seinen substantiellen Gehalt hat: in der Präsentation eines einheitlich-einigenden Feindbildes, das von dem Hass auf Frauen, auf sexuelle und intellektuelle Minderheiten, auf »den Westen« und den jüdischen Staat Israel kommandiert wird.

Umso bedrohlicher ist es daher, dass diese Feinderklärung im Westen auf gar nicht mal so geringes Verständnis stößt. Die einen – Linke und Alternative – legitimieren den Hass als Ausdruck von Unterdrückten und Verzweifelten, denen ihre legitimen Rechte auf eine eigene kulturelle Identität nicht vorenthalten werden dürfen (auch und gerade wenn diese kulturelle Identität das Steinigen von Ehebrecherinnen und die Hinrichtung von Apostaten vorsieht). Die anderen – Liberale und Konservative – vollziehen die gleiche Kulturalisierung mit umgekehrten Vorzeichen, indem sie aus den universalistischen Errungenschaften der Aufklärung (die es ohne einen Averroes und einen Avicenna nie gegeben hätte) die »Werte des christlich-jüdischen Abendlandes« machen, d.h. sie zu einem Feldzeichen im »Kampf der Kulturen« degradieren, in welchem von Rechts wegen Waffengleichheit herrscht: Identität gegen Identität. Aus den Menetekeln einer »Islamkritik« à la Sarrazin spricht die insgeheime Ehrfurcht vor muslimischer Virilität, Zeugungskraft und Willen zur Macht, die dem degenerierten Abendland inzwischen abgingen. Verdruckst äußert sich so genau die gleiche Faszination fürs Rückständige, Partikulare, die die linken Kulturrelativisten offen herausposaunen, wenn sie etwa, wie letztes Jahr in New York, Ahmadinejad zum neuen Heros des antiimperialistischen Kampfes stilisieren. Diese Faszination ist ideologiekritisch zu entziffern, soll der politische Islam auf seinen Begriff gebracht werden. Denn stark wird dieser nicht aus eigener Kraft, sondern weil die, die auf dem Planeten das Sagen haben, ihn stark werden lassen – allen voran die europäische Führungsmacht Deutschland, die sich als Schutzmacht für die Islamisten von Gaza bis Teheran geriert.

16.11.: Klaus Blees

Deutsche Islampolitik zwischen Ausgrenzung und Pseudointegration

Die Gefahr islamistischer Anschläge besteht auch in Deutschland, wie die Ermordung zweier US-Soldaten am 2. März in Frankfurt am Main oder die vereitelten Pläne der »Sauerlandgruppe« und anderer gezeigt haben. Doch Gefahrenabwehr dient in Deutschland traditionell als Vorwand für eine restriktive Asyl- und Migrationspolitik sowie den Ausbau des Überwachungsstaates. Gleichzeitig hofieren staatliche Institutionen die konservativen Islamverbände, richten die »Deutsche Islam Konferenz« ein und sind bestrebt, den Islam als Ordnungsmacht den christlichen Kirchen gleichzustellen, beispielsweise mit der Einführung regulären islamischen Religionsunterrichts.

Der Vortrag beleuchtet den Doppelcharakter staatlicher Islampolitik und begründet die Notwendigkeit des Kampfes gegen Abschiebung und Ausgrenzung von Menschen muslimischer Herkunft ebenso wie gegen eine Integrationspolitik, die die patriarchalen Verhältnisse des orthodoxen Alltagsislam mit integriert.

Klaus Blees ist Mitarbeiter des Projekts »Islamismus zurückdrängen – Menschenrechte wahren« des Kompetenzzentrums Islamismus der (allgemeinpolitischen und bundesweit arbeitenden) Aktion 3.Welt Saar. Dieses Projekt wird aus Mitteln des Europäischen Flüchtlingsfonds kofinanziert.

Plakat

23.11.: Esther Webman

Der antisemitische Diskurs in der arabischen Welt – Transfer, Internalisierung und Recycling

Antisemitismus ist nicht die Ursache des arabisch-israelischen Konflikts, aber er hat ihn verschärft, und er stellt ein größeres Hindernis für eine echte Aussöhnung und gegenseitige Anerkennung von Arabern und Israelis dar. Zwar hat er Themen vom westlichen Antisemitismus übernommen, aber Quellen und Motivation des arabischen Antisemitismus sind einheimisch, aus religiösen und nationalistischen Gefühlslagen herrührend, so dass eine einzigartige Symbiose von christlichen und islamischen Motiven wie auch von solchen aus dem Fundus des rassistischen und politischen Antisemitismus entstand. Obwohl die antisemitischen Wellen im Zusammenhang mit politischen Ereignissen und Entwicklungen an- und abschwellen, wird der Antisemitismus zunehmend zu einer Konstante im arabischen Denken, und er ist, wie in anderen Teilen der Welt auch, im weiteren Zusammenhang der Entwicklung arabischer Gesellschaften zu sehen.

Das Referat wird die groben Konturen des arabischen Antisemitismus insbesondere der letzten Jahre und im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten untersuchen. Besonders hervorgehoben werden die Ideologien und Aktivitäten islamistischer Bewegungen.

Esther Webman ist Forschungsbeauftragte am Stephen Roth Institute for the Study of Contemporary Antisemitism and Racism und am Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies an der Universität von Tel Aviv. Sie hat 2009 die Studie From Empathy to Denial: Arab Responses to the Holocaust veröffentlicht (mit Meir Litvak) und jüngst den Sammelband The Global Impact of the Protocols of the Elders of Zion: a Century-Old Myth herausgegeben.

Vortrag in englischer Sprache mit deutschen Zusammenfassungen. / Talk in English with German summaries.English version

30.11.: Kenan Malik

Verrat an der Freiheit – Linke, Rechte und der Islamismus

Seit dem 11. September haben sich im Wesentlichen zwei Reaktionsweisen auf die islamistische Bedrohung herausgebildet. Für manche, hauptsächlich auf der Rechten, besteht das Problem im Islam selbst und in einem »Kampf der Kulturen«. Dort erhebt man immer schärfere Forderungen nach einem Ende der muslimischen Immigration, weiteren Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten und einer Ausweitung von Kriegseinsätzen. Für andere, hauptsächlich auf der Linken, stellt der Islamismus einen Ausdruck berechtigter Empörung dar, sowohl über die westlichen Angriffe auf islamische Staaten als auch über Diskriminierung von Muslimen hierzulande. Indem sie die Welt nicht durch die Brille des »Kampfes der Kulturen«, sondern des Multikulturalismus betrachten, wollen diese Kritiker religiösen und kulturellen Unterschieden Rechnung tragen und so die Islamisten beschwichtigen. Kenan Malik wird das Versagen dieser beider Strategien und deren gefährliche Konsequenzen darlegen und zeigen, wie das Problem des Islamismus stattdessen anzugehen wäre.

Kenan Malik ist Senior Visiting Fellow an der University of Surrey und Autor zahlreicher Bücher, Aufsätze und Fernsehfeatures. Seine jüngste Veröffentlichung From Fatwa to Jihad: the Rushdie Affair and its Legacy (London 2009) behandelt das Versagen westlicher Liberaler im Kampf gegen den Islamismus.

Vortrag in englischer Sprache mit deutschen Zusammenfassungen. / Talk in English with German summaries. – English version

7.12.: Pınar Selek

Die Transformation der Männlichkeit in der Türkei

Welche Mechanismen der geschlechtlichen Identifizierung lassen sich in der Türkei ausmachen, und in welchem Verhältnis stehen sie zu den Veränderungen in den gesellschaftlichen Machtverhältnissen? Wie beeinflusst die Spannung zwischen Konservatismus und Freiheitsbestrebungen das gesellschaftliche Geschlechterregime?

Während des Militärdienstes lernen junge Männer, den systematischen Einsatz von Gewalt zu legitimieren und zu normalisieren. Auf diese Weise bereiten sie sich sowohl auf den Staatsdienst als auch auf die Rolle als Familienoberhaupt vor. Unterschiede zwischen ihnen werden nivelliert, indem sie sich gemeinsam dem Staat als oberster patriarchaler Instanz unterwerfen lernen.

In der politischen und wirtschaftlichen Neuausrichtung der Türkei, die mit einer eigentümlichen Form von Globalisierung einhergeht, verändern sich auch die Mechanismen geschlechtlicher Identifizierung. Heutzutage sind Geschlechteridentitäten nicht nur an Status, Religion und städtische oder dörfliche regionale Eigenheiten gebunden. Verschiedene Männerrollen geraten miteinander in Konflikt, verstärken sich aber auch wechselseitig.

So können das religiös legitimierte, neokonservative und neoliberale Modell von Männlichkeit, wie es im Umfeld der Regierungspartei AKP gepflegt wird, und das kemalistische Modell, das die zivil-militärische Bürokratie beherrscht, nebeneinander existieren. Trotz aller formalen Unterschiede stimmen beide Strömungen in ihren wesentlichen Wertvorstellungen über Männlichkeit überein. Dem steht eine Opposition von feministischen, homosexuellen, antimilitaristischen und anderen neuen sozialen Bewegungen gegenüber, die das traditionelle Männerbild in Frage stellt. Im Rahmen der komplexen gesellschaftlichen Strukturen der Türkei kämpft diese Opposition gegen die kemalistischen und klerikalen Machtapparate.

Pınar Selek ist Soziologin und Publizistin. Aufgrund ihres Einsatzes für Frauen- und Minderheitenrechte vom türkischen Staat verfolgt, lebt sie derzeit im Exil in Berlin. Ihre Untersuchung Zum Mann gehätschelt, zum Mann gedrillt: Männliche Identitäten erschien 2010.

Vortrag in türkischer Sprache mit deutscher Übersetzung. / Almanca çevirili türkce sunu. – Türkce versiyon

Alle Vorträge finden mittwochs um 18.30 Uhr in der Universität Hamburg, Hörsaal 1 des Geomatikums, Bundesstr. 55 statt.

Konzeption: Hamburger Studienbibliothek. Auf Einladung der Initiative kritischer StudentInnen. Gefördert von der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg.

Samstag, 10.12., 14 Uhr, HSB: Arbeitsgespräch

Auswertung der Reihe und Fortführung der Diskussion

Auf der Grundlage der Vorträge wollen wir, nach einem Austausch von Einschätzungen und Kommentaren, beratschlagen, was zu unternehmen ist, um die Diskussion weiterzuführen und auszuweiten sowie offene Fragen aufzugreifen.

Die Veranstaltung steht allen Interessierten offen, die Zahl der TeilnehmerInnen ist allerdings begrenzt. Wir bitten daher dringend um rechtzeitige Anmeldung.

Programm der Reihe zum Ausdrucken (als Aushang oder Faltblatt) / Plakat

Letztes Update: 2012-10-08