Die unauslöschliche Farbe

"Ich laß’ mir meinen Körper schwarz bepinseln, schwarz bepinseln. Dann fahr’ ich auf die Fidji, auf die Fidji Inseln. Dann ist noch alles paradiesisch neu. Ach wie ich mich freu’! Ach wie ich mich freu’! Dann trag ich einen Schurz aus Muscheln und gehe mit der Fidjipuppe kuscheln. Aus Bambus baue ich mir eine Klitsche fein. Ich bin der Fritsch, der will ’ne Fidsche sein."

1930 wird dieser Schlager, getextet und komponiert von Friedrich Hollaender, interpretiert von der Haus Vaterland Jazzband, im Haus Vaterland Berlin zur Aufführung gebracht. Ein Photo entsteht:

In diesem Text soll es darum gehen, aus einem historischen Schlagerbeispiel die Dialektik des ambivalenten Verhältnisses zwischen Einschluß und Ausschluß sogenannter ethnischer Minderheiten zu entfalten – und zwar in ihrer spezifisch deutschen Ausprägung.

Das zwiespältige Verfahren der Ausgrenzung, das immer wieder eine rassistisch organisierte Klassengesellschaft hervorbringt, funktioniert an jedem Ort und zu jeder Zeit anders. Es setzt sich aus der spezifischen Verquickung ‘ethnischer’, ökonomischer, politischer und ästhetischer Kategorien zusammen. Auf kultureller Ebene werden ‘ethnische’ Bilder verfertigt, mit denen komplexe Bewertungen hergestellt werden, und die ihrerseits wiederum auf komplexe Weise verwertet werden. Somit entstehen Rollenbilder, Rollenmodelle, mit deren Hilfe Menschen für bestimmte Tätigkeiten oder Subjektpositionen vorgesehen werden. Kultur funktioniert somit als Werkzeug der Herstellung gesellschaftlicher Hierarchien, in diesem Fall einer ‘ethnisch’ fundierten Rangfolge. In Deutschland gilt das Verfahren kulturell legitimierter Unterschichtung gemeinhin als geschichtslos, als gäbe es Einwanderung und Minderheiten erst seit wenigen Jahrzehnten. Das liegt daran, daß vorgängige Geschichten ausgelöscht wurden. Auch heute werden sie vielfach unsichtbar gemacht.

Es geht also darum, anhand eines konkreten Bildes eine mehrfach gebrochene Geschichte ambivalenter Ausgrenzung zu rekonstruieren und die in ihr wirkenden Mechanismen der Herrschaft freizulegen. Im kulturellen Bild wird der Konflikt zwischen den sich stetig überschneidenden Trennlinien von race, class und gender als ewig und zeitlos fixiert: Somit wird er als politische Auseinandersetzung negiert. Hier soll es im Gegenteil darum gehen, diesem Bild eine Geschichte zurückzuerstatten, um das Fortwähren der darin befangenen Konflikte freizusetzen.

 

Musik

Der Fidjisong wurde 1930 von Friedrich Hollaender komponiert. Die Band ist die Haus Vaterland Jazzband, in der Musiker aller möglichen Hintergründe zusammen spielten. Nur ein Jahr nach diesen Aufnahmen bekamen die meisten Mitglieder dieser Kapelle Schwierigkeiten aufgrund des sogenannten Farbigenerlasses, der noch in der Weimarer Republik die Beschäftigung sogenannter farbiger Kapellen stark einschränkte. Eine klassisch protektionistische Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit und überdies eine Anbiederung an kulturelle Kreise, die gegen die sogenannte Negermusik hetzten. Ein Jahr nach Aufnahme des Fidji-Schlagers verschwand der schwarze Teil der Musiker. Zunächst konnten einige mit sogenannten Ausnahmegenehmigungen weitermachen, etwa, wenn sie die deutsche oder andere genehme Staatsangehörigkeiten besaßen. Auch diese wurde schwarzen Menschen allerdings mehr oder weniger systematisch in den Jahren nach 1933 entzogen. Gerade die Willkürlichkeit dieser Verfügung war aber Teil der in Anschlag gebrachten Zwickmühle aus selektivem Ein- und Ausschluß von people of color: So wurden Ausnahmen in der Anwendung der sogenannten Rassengesetze ausdrücklich begrüßt, wenn es darum ging, daraus außen- oder kolonialpolitische Vorteile zu ziehen.1

 

Eliminatorischer Exotismus

Während in der Musikbranche zunächst die Schwarzen und dann die Juden ausgeschaltet wurden, verhielt es sich in der Filmbranche genau anders herum. Auch nach dem Auftrittsverbot für Juden erschienen schwarze Menschen auf deutschen Kinoleinwänden – und zwar den ganzen Krieg hindurch. In dieser Zeit übernahm die Kulturindustrie eine mehr als ambivalente Rolle gegenüber hauptsächlich schwarzen Leuten. Bei der UFA existierte das ganze ‘Dritte Reich’ hindurch eine Kolonie afrikanischer Statisten, die in kolonialen Großspektakeln wie Carl Peters oder Germania mitspielten.2 Während die Statisten materiell einigermaßen gut versorgt wurden, konnte es immer wieder passieren, daß Frauen zur Zwangssterilisation gebracht wurden. Zur selben Zeit schmetterten Zarah Leander und Rosita Serrano exotische Lieder aus der Pampa oder der Sierra. Wiederum zur selben Zeit landeten mehrere schwarze Künstler in verschiedenen KZs.

Die abgrundtiefe Fatalität der Situation ist daran zu ermessen, daß von diesem Zusammentreffen von Einschluß und Selektion hauptsächlich Menschen betroffen waren, deren Kultur ein großer Unterhaltungswert zugemessen wurde: also Schwarzen, Sinti und Roma. Als Leni Riefenstahl sich einbildete, in ihrem Film Tiefland eine ‘Zigeunerin’ zu spielen, holte sie sich ihre Statisterie von Sinti dazu aus dem Konzentrationslager Mauthausen. Nach Abschluß der Dreharbeiten wurden sie dorthin zurückgeschickt. Den schwarzen Künstlern konnte es passieren, daß sie im KZ ihre jüdischen Musikerkollegen wiedertrafen. So z.B. Martin Roman, der mit Hollaender gemeinsam bei den Weintraub Syncopators aufgetreten war und in Theresienstadt an den sogenannten Ghettoswingers beteiligt war. Weil auch in der SS das Begehren nach Jazz verbreitet war, gelang es Roman immer wieder zu überleben. Die Ghettoswingers sollten Theresienstadt als Filmkulisse für den berüchtigten Propagandafilm Der Führer schenkt den Juden eine Stadt aufwerten. Danach wurden sie alle nach Auschwitz deportiert. Auch da spielten sie weiter – nach der Selektion an der Rampe, der einige von ihnen zum Opfer fielen. Eric Vogel berichtet: "...einige SS- Leute meinten: Vor euch hatten wir hier eine wunderbare Zigeunerband, die gab es sechs Wochen, dann zogen die ab – durch den Schornstein. Euch blüht das gleiche in vier Wochen."3

Wer in dieser Rechnung gar nicht erst aufscheint, sind diejenigen, deren Kultur für nicht verwertungsfähig gehalten wurde, zum Beispiel AsiatInnen. Sie kamen gar nicht erst in die Verlegenheit, für kulturfähig gehalten und somit einverleibt zu werden, und sind daher fast völlig aus der Geschichte verschwunden. Festzuhalten bleibt aber, daß sie hauptsächlich als Objekte der Imitation aufscheinen und äußerst selten als handelnde Personen in Erscheinung treten. An der äußersten Peripherie des Kulturbetriebs wurden während des Kriegs in der UFA-Produktion die entzückendsten Chinoiserien verfaßt, während gleichzeitig Selek-tionskommandos durch die Gefangenenlager der Roten Armee streiften, um asiatische Sowjetsoldaten unverzüglich zu erschießen. An dieser extremen Zuspitzung einer kulturpolitischen Entwicklung ist also abzulesen, daß es dem Kulturbetrieb gelang und gelingt, das Spannungsverhältnis zwischen Begehren und Abweisung des ‘Ethnischen’ immer wieder zu transformieren: in diesem Fall bis hin zur gleichzeitigen Verwertung und Vernichtung des Anderen. Die hemmungslose Verwertung des exotischen Vergnügungsmoments der eingebildeten Fremdkulturen verhinderte keineswegs die gleichzeitige physische Vernichtung ihrer realen ReferentInnen. Der Verdacht drängt sich hingegen auf, daß die Momente der Verwertung und Vernichtung einander nicht ausschließen, sondern daß sie sich gegenseitig bedingen.

 

Ich laß’ mir meinen Körper schwarz bepinseln...

Aber nochmal zurück in die 30er Jahre, an den Anfang dieser Entwicklung: derselbe Ausschnitt aus einem anderen Blickwinkel gesehen, nämlich bezüglich des Inhalts und der Strategie des Fidjisongs. Dieser wurde von Friedrich Hollaender komponiert, der dieses Lied mit der ihm eigenen Verve verfaßte und der vom ‘Farbigenerlaß’ nicht betroffen war. Es ist in seinen Memoiren zu diesem Lied nicht viel ausgesagt, abgesehen davon, daß es zur ‘Aufheiterung seines Geldsäckels’ beigetragen habe. Das Lied ist erfreulich und erstaunlich, weil selten so unverblümt ausgedrückt wird, worin es auf der narzißtisch-identifikatorischen Seite des rassistischen Verhältnisses geht, nämlich um die Erfüllung all der Wünsche, an die der monochrome Deutsche meist nur in Verkleidung zu denken wagt. Damit will ich nicht implizieren, daß wir Minorisierten etwa besonders viel verwegenere Phantasien zustande brächten.

Der Schlager ist deswegen bemerkenswert, weil er all diese Wünsche ohne Zaudern auf den Punkt bringt. Die hemmungslose Affirmation und Überspitzung, die ironische Entleerung der Stereotypen erweist allerdings in diesem Kontext auch seine begrenzte Wirkungsmacht. Der Schlager hält sich 1930 noch auf der Kante der Ambivalenzbeziehung zwischen Affirma-tion und Ironie. 1933 mußte aber auch Hollaender fliehen. In seinen Memoiren findet sich eine Bemerkung, in der die ganze Ironie der Farbe in bitteren Ernst zerstiebt: Während seiner Flucht über die Grenze freut er sich, daß seine weiße Frau zu ihm halte, wo er doch so schwarz sei. Hollaender scheint sich selbst also in diesem Moment als schwarz – durchaus ohne Anführungszeichen – gesehen zu haben, was der Bedeutung des Liedes nochmal eine andere Volte verleiht. Als die Nazis schließlich an der Macht waren, mußte Hollaender feststellen, daß die schwarze Farbe, die er noch so überschwenglich anpinseln wollte, von vornherein nicht zu entfernen war und plötzlich überaus sichtbar zutage trat. Man kann sagen, daß die Farbe, desto mehr zu ihrer Ausrottung und Ausschaltung unternommen wurde, geradezu um sich griff und an immer mehr Menschen aufschien, wobei sie teilweise von außen angepinselt, zugewiesen wurde, teilweise, wie es in Hollaenders Fall zu sein scheint, auch einfach adoptiert und angenommen wurde.

Es lassen sich also für den Anfang der 30er Jahre zwei gegenläufige und in sich widersprüchliche Bewegungen festhalten: Auf der einen Seite wurden Minorisierte denaturalisiert. Der Begriff der Denaturalisierung betrifft hier den Entzug einer einmal gewährten Staatsbürgerschaft. Die Minorisierten wurden ihrer staatsbürgerlichen Rechte entkleidet, oder diese wurde ihnen gar nicht erst gewährt, wie den vielen Staatenlosen und Flüchtlingen. Die Denaturalisierten wurden jedoch auf ‘rassischer’ und gesetzlicher Ebene als Andere renaturalisiert. Sie waren also nur im Hinblick auf ihre Denaturalisierung gleich und wurden im Gegenzug in verschiedensten Kasten und Verwaltungseinheiten wiederum voneinander abgesondert, wie das auf dem Photo zu verfolgen ist. Zum anderen wurden jedoch die Eigenschaften, die mit diesen Leuten verknüpft wurden, gewissermassen ihre Farben, auf kultureller Ebene der genau entgegengesetzten Prozedur unterzogen: Diese Kulturen galten dann als besonders natürlich oder appetitlich, wenn sie in ihrer denaturalisiertesten Form, das heißt abzüglich ihrer TrägerInnen oder angeblichen TrägerInnen dargeboten wurden.

 

Die "ansteckende Krankheit" der Staatenlosigkeit

Die verwirrende Vielfalt der juristischen Kategorien für Minorisierte hat Hannah Arendt für die Zwischenkriegszeit festgehalten: Wenn ich sie in loser Folge aufzähle, finden sich da Minderheiten , Flüchtlinge, Staatenlose, Heimatlose, Leute mit unbestimmter Nationalität, ‘freiwillige’ Staatenlose, Flüchtlinge in der Maske von Reisenden, Wirtschaftsemigranten und Touristen. Während die Autoritäten diese Kategorien benutzten, um möglichst viele Menschen abzuschieben, verwendeten die Minorisierten wiederum dieses Gewirr so gut es ging und flohen jeweils von einer Kategorie in die andere.

Die Flüchtlingsbewegungen nach dem Ersten Weltkrieg waren die Zielscheibe rassistischer Maßnahmen von Seiten der Dominanzkultur, die sich im gleichen Zuge auch gegen die Minderheiten richteten. In der Konsequenz führte dies dazu, daß die Flüchtlinge laut Hannah Arendt die Tendenz hatten, "die Bevölkerung der gleichen Nationalität in Flüchtlinge zu verwandeln, auch wenn diese ursprünglich Immigranten gewesen waren."4 Dies kann nicht als aktiver Prozeß verstanden werden: Tatsächlich waren es natürlich nicht die Flüchtlinge, die die Immigranten mehr und mehr zu Staatenlosen machten, sondern die dominanten Bilder und Kategorien, die in bezug auf beide Gruppen verbreitet wurden, näherten diese einander Schritt für Schritt an. Es entspinnt sich hier also ein asymetrisches Verhältnis gegenseitiger Positionierungen - sowohl zwischen der dominanten und der minderheitlichen Perspektive als auch innerhalb der minorisierten Gruppen selbst. Asymetrisch insofern, als die Mittel der Produktion (bildlicher) Kategorisierung hauptsächlich auf Seiten einer sich immer schärfer als ‘ethnisch’ formierenden Mehrheit lagen. Diese definierte sich auf Kosten der Minorisierten, während jene, soweit es ihnen überhaupt möglich war, auf die fortschreitende Entähnlichung nur reagieren konnten. In der Konsequenz führte dies zu immer vehementeren und auch konfuseren Dissimilationen, zu einer allgemeinen Ausbreitung der Staatenlosigkeit und Apartheid. Was Hannah Arendt etwas unfein die "ansteckende Krankheit"5 der Staatenlosigkeit nennt, habe ich vorher als die um sich greifende Farbe bezeichnet, die sich plötzlich als die unauslöschliche erweist und die sich, so Robert Musil in derselben Zeit, in einem Spiegelkabinett des Hasses und der Liebe bricht.

 

Dissimilation: Entähnlichung, Entfremdung

Es läßt sich unschwer erkennen, daß der von mir im Umweg über die 30er Jahre erläuterte Prozeß mannigfaltige Analogien zur Gegenwart aufweist. Seit dem Anfang der Neunziger Jahre hat sich das Ausmaß symbolischer und politischer Dissimilation in einem Maße verschärft, das ich hier nicht weiter ausführen will, weil ich es als bekannt voraussetze, zumindest in seiner konkret mörderischen Variante.

Ich möchte nur zwei kurze Beispiele anführen, die ich auf der Zugfahrt in der Zeitung fand: in der Ecke der Seite finden sich zwei kurze Notizen untereinander, die sowohl den Begriff Fidji als auch den Begriff der denaturalisierten Farbe in ihrer aktuellen Form zu bedenken geben. Die erste Meldung betrifft den Überfall auf die Deutsch-Asiatische Gesellschaft für Entwicklung durch Rechtsradikale in Rostock. Sie zerschlugen das Mobiliar und bedrohten die elf Bewohner des – so die SZ – "Ausländerhauses". "Unter anderem habe man ihnen gesagt, sie sollten bis Freitag verschwunden sein, weil sonst ‘die Hütte abgefackelt’ werde." Direkt darunter findet sich eine Meldung mit dem Titel: "Farbige stundenlang gequält". Darin heißt es, eine "farbige Frau deutscher Nationalität" sei von Nazis an einem Waldsee bei Zwickau gefoltert worden. Sie wurde schwer verletzt. In den vier Worten, mit denen ihr Status innerhalb der deutschen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht wird, findet sich der Zusammenhang zwischen Farbe und Denaturalisierung in seiner ganzen Fragilität verdichtet: so wird die Frau keineswegs als ‘Schwarze Deutsche’ oder ‘Deutsche of color’ bezeichnet. Anstatt als ‘Deutsche’ anerkannt zu werden, wird ihr gerade mal die "deutsche Nationalität" zugesprochen, so wie bei deutschen Juden traditionell von ‘Juden deutscher Nationalität’ die Rede ist, als ob diese Eigenschaften inkompatibel seien. Es bestätigt sich allerdings immer mehr, daß dies weiterhin die vorherrschende Meinung darstellt. Dies heißt keineswegs, daß es allen schwarzen Leuten darum geht, oder gehen sollte, als ‘Deutsche’ anerkannt zu werden. Ich halte dies ausdrücklich für unangemessen. Im Gegenteil geht es darum, die subtilen Kategorien symbolischer Denaturalisierung begrifflich zu erfassen, um daraus neue Ansätze bezüglich einer Forderung nach Rechten für alle zu entwickeln, die tatsächlich unalienable, unveräusserlich zu sein haben, von jeglicher ‘natürlichen’ Fundamentierung absehen und sich nicht im Sentiment heuchlerischer Menschenrechtsrhetorik verbrauchen.

Was die Frage nach dem begrifflichen Repertoire betrifft, das bezüglich der aktuellen Verfassung angeschlagen wird, so ist es bislang noch eher dürftig zu nennen. Eher weniger verbreitet ist der Ansatz, auch in dieser Phase die dialektische Ein- und Ausschlußbeziehung zu thematisieren und darauf hinzuweisen, daß nicht nur die begehrliche Gewalttat sondern auch die gewalttätige Umarmung von Seiten der Mehrheit zur Erstickung führen kann. Es herrscht ein doppelseitiges Mißverhältnis zwischen extremer Sichtbarmachung und gleichzeitiger Unsichtbarmachung der Minorisierten, und dieses Mißverhältnis eröffnet eine neue Phase der Dissimilation. Auch diese spielt sich wieder innerhalb eines komplexen Spannungsfeldes zwischen gleichzeitigen Re- und Denaturalisierungsprozessen auf kulturellen und politischen Ebenen ab. Während Menschen ihre Namen, Rechte oder ihren Status verlieren oder gar nicht erst bekommen, ihre Integrität also auf institutioneller Ebene akribisch dekonstruiert wird, passiert auf kultureller Ebene dasselbe.

 

Die Unauflöslichkeit des Objekts

Der Begriff der Denaturalisierung gewinnt eine völlig neue Qualität, wenn er auf die vergangenen Moden des europäischen Kulturbetriebs angewandt wird, die sich in den letzten Jahren darin überboten, ihre Dekonstruktionskünste an realen Menschen zu erproben. Als besonders attraktiv erwiesen sich für dieses Verfahren minorisierte Menschen: Einerseits, weil sie ohnehin dazu genötigt werden, die gesellschaftlichen Widersprüche gewissermassen am eigenen Leibe darzustellen. Andererseits aber auch, weil sie wenig Chancen haben, sich gegen die theoretische Invasivität zu wehren, mit der ihre Körper kognitiv kannibalisiert werden.

Es ist vor allem in den geistesarbeiterischen Sektoren der Gesellschaft - also auch und in besonderem Masse im Kulturbetrieb - so, daß die derart fetischisierten Personen als Handelnde deswegen nicht oder kaum auftreten, weil sie schon lange vorher einer unsichtbar gemachten ‘ethnischen Säuberung’ zum Opfer gefallen sind. Diese Säuberung verknüpft erfolgreich klassenspezifische, psychologische und rassistische Dispositive zu einer Komposition, deren Ergebnis klar macht, daß es people of color nur im Ausnahmefall gelingt, Qualifikationen zu erlangen, die in den interpretierenden Sektoren der Kulturbranche benötigt werden. Im selben Atemzug wird Differenz produziert und verwertet, konstruiert und verleugnet. Sie, also wir, müssen uns beispielsweise anhören, was so’n bißchen Farbe im Gesicht denn eigentlich für einen Unterschied mache, während gleichzeitig wohlmeinende Intellektuelle anregen, sie als Speerspitze der Globalisierung in überseeische Dependancen von Großkonzernen zu stecken, wo sie ihre kulturellen Fähigkeiten zum Wohl des deutschen Exports einzusetzten hätten. Auch die Flüchtlinge, die von Seiten der Linken bisher von offen aggressiven Ressentiments verschont blieben, müssen sich jetzt anhören, daß sie – so Wolfgang Pohrt in Konkret – zwar "arme Teufel", aber gleichzeitig auch "potentielle Agenten, Kollaborateure" des multinationalen Großkapitals seien.

Die absoluten Extreme, die sich in solchen Delirien verquicken, erzeugen immer wieder eines, und das ist die klassische Synthese zwischen Begehren und Ausschluß: eine untergeordnete und leicht auszubeutende Position innerhalb einer rassistisch organisierten Klassengesellschaft. Es ist aufgrund solcher Vorfälle zu vielfältigen Brüchen gekommen, die auf der einen Seite die seit der deutschen Vereinheitlichung anwachsende Kluft zwischen Mehr- und Minderheitsbevölkerung verstärkt haben. Auf der anderen Seite haben sich auch ziemlich viele Zusammenschlüsse internationalistischer Minorisierter gebildet, die keineswegs gewillt sind, sich in den souverän definierten Kategorien der Dominanzkultur dekonstruieren oder gar auflösen zu lassen. Wie in der Zwischenkriegszeit kommt es auch in diesem Spannungsfeld zu einem Gewirr aus Abstufungen von Rechten, Privilegien und legalen Absonderungen, die wiederum kaum je mit den realen kulturellen und politischen Unterschieden zwischen den Minorisierten übereinstimmen. Die Auseinandersetzung untereinander wird nicht nur durch die Modi des integrierenden Einschlusses unterbunden, der einige Minorisierte einbindet, während die anderen abgeschoben werden, sondern auch durch die Tatsache, daß es außer der Differenz zum ‘ethnischen’ Mainstream kaum Gemeinsamkeiten unter uns gibt. Und ähnlich wie auf dem Photo stellen wir fest, wie ausgefeilt und perfide die Konstruktion der Kasten funktioniert und wie sehr sie ein weiteres Mal die Organisierung zwischen mehr und minder Privilegierten erschwert. Der letzte Punkt, auf den ich hinweisen möchte, ist dieser Typ da rechts, der Minstrel auf dem eingangs gezeigten Foto. Ich wollte zunächst sagen, daß er sich an Hollaender anbiedere. Aber tatsächlich scheint es leider genau anders herum zu sein. Auf jeden Fall ist er der einzige, der scharf abgelichtet ist, und somit auch der Mittelpunkt und Focus des Fotos, auf dem das restliche Personal nur zur Dekoration aufgestellt zu sein scheint.

Ich habe vergeblich versucht herauszufinden, wer er ist, und so kann ich hier nur haltlose Projektionen entwerfen. Er hat die Aufforderung wörtlich genommen, sich schwarz zu bepinseln, und niederschmetternderweise ist es diese Farbe, die keiner Haut gehört, die sich aus dieser Perspektive heraus tatsächlich als diejenige erweist, zu deren Auslöschung keine faschistischen Maßnahmen unternommen wurden. Die Farbe schwarz sollte nicht gelöscht werden, wohl aber die Menschen, die mit dieser Farbe identifiziert wurden. Wenn ich jetzt noch einmal darauf zurückkomme, was diese unauslöschliche Farbe ist, die in ihrer abstrakten und gehäuteten Version imstande ist, beides, Liebe und Haß, auf so komplexe Weise zu binden, so möchte ich ein weiteres Mal das Zitat von Adorno, das ich hier etwas illegitim als Titel des Textes entwende, herumdrehen. Er schreibt: "Die unauslöschliche Farbe kommt aus dem Nicht-Seienden."6 Inmitten des Bestehenden erscheine sie abstrakt, weil sie in einer entstellten Welt nicht anders zu repräsentieren sei. Um dasjenige, das abstrakt an dem Minstrel aufscheint, lebendig zu machen, um die Körper, an denen die begehrte Farbe sichtbar wird, und die gerade deshalb immer wieder ausgelöscht werden sollen, in den Mittelpunkt unserer Bemühungen zu stellen, müssen wir die Perspektive ändern und uns nicht mehr wie gebannt auf das Begehren und die Politik der Abschiebung der dominanten Kaste fixieren. Mich interessiert in Zukunft viel eher, unsere eigenen Begehren, aber auch unsere Feindseligkeiten zu reflektieren und diese künftig scharf zu stellen.

Hito Steyerl

 

1 Das nationalsozialistische Auswärtige Amt schrieb, es erschiene "bei bestimmten Gelegenheiten (...) außenpolitisch zweckmäßig, beispielsweise einen afrikanischen Neger gleichberechtigt zu behandeln. Durch einen solchen Verzicht auf die Anwendung des Rassegesetzes bei der Anstellung der Abkömmlinge eines ‚rassefremden Elternteils’ in den deutschen Staatsdienst könnten dann kolonialpolitische Vorteile gezogen werden." Katharina Oguntoye, May Opitz, Dagmar Schultz (Hg.): Farbe bekennen, Berlin 1986, S. 58.

2 Ich beziehe mich hier auf Forschungen von May Ayim, Katharina Oguntoye und Pauline Reed-Anderson: Afrikaner in Berlin. Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren, Berlin 1992. (Katharina Oguntoye arbeitet derzeit an einer Dissertation über die UFA-Statisten.)

3 Eric Vogel: Jazz im Konzentrationslager, in: Franz Ritter (Hg.): Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing, Leipzig 1994, S. 241.

4 Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München 1986, S. 443.

5 Ebd.

6 Theodor W. Adorno: Negative Dialektik, Frankfurt 1997, S. 66.

Die Filmstills stammen aus Hito Steyerls Dokumentarfilm Die leere Mitte, in dem es um die architektonischen, politischen und ‘ethnischen’ Grenzen geht, die in der Neuen Mitte der Berliner Republik errichtet werden (Die leere Mitte, 16 mm, 61 min, Discinema 1998, Fax: 089/244348443, hito.steyerl@hff-muenchen.mhn.de)