Die innere Sicherheit des Staates ist die reale Ökonomie des Subjekts

die basics(:) im grunde gespalten
Der Diskurs Innere Sicherheit ist vielfach Objekt linker Kritik geworden, sowohl seine Rhetorik wie seine Maßnahmen. Diese Kritik beschränkt sich in aller Regel jedoch auf die Angebotsseite des Diskurses, die z.B. aus Gesetzesverschärfungen, Hetze in den Medien und deren gegenseitiger Verstärkung und Stabilisierung besteht. Dem gegenüber steht die Nachfrage nach Innerer Sicherheit (IS), die in den linken Auseinandersetzungen meist ausgeblendet wird, was insofern verwundert, als diese Nachfrage im Diskurs IS als 'subjektives Sicherheitsempfinden' (oder '-bedürfnis') eine nicht unentscheidende Rolle spielt. In der Unterscheidung von 'subjektivem Sicherheitsbedürfnis' und 'objektiver Sicherheitslage' - im übrigen eine Unterscheidung der "Bullen" (Lacan) - dient der subjektive Faktor u.a. der Selbsterhaltung und Weiteraufrüstung des Apparats, insofern die 'Sorgen und Nöte der Bevölkerung ernstgenommen' werden.
Das Gros der linken Analysen zum Thema gerät - vielleicht gerade durch diese Auslassung - immer wieder in die Nähe einer Repressionshypothese, insofern die zunehmende Kontrolle durch den Staat als gegen autonome Subjekte gerichtet verstanden wird und damit gegen deren Interessen, die ja objektiv und eigentlich Freiheit und Unkontrolliertheit sind, verstößt. Dadurch geraten diese Analysen oft z.B. zu einem Entschulden rassistischer TäterInnen, indem diese als durch die Repression und Kontrolle eingeengte Subjekte gesetzt werden, deren Trieb oder Freiheitsdrang sich in rassistischen Handlungen entlädt. Das Leiden des Subjekts am repressiven Staat ist dann Schuld an der Teilnahme an oder überhaupt der Existenz von rassistischen Pogromen.

Der Terminus 'subjektives Sicherheitsbedürfnis' scheint ja nahe zu legen, daß der Diskurs IS selbst auf seine psychischen Momente und Motivationen reflektiert. Aber auch hier wird die Bedrohung nur scheinbar im Subjekt verortet bzw. die Verunsicherung nur scheinbar aus dem Subjekt begründet. Es wird lediglich so etwas wie Bedrohung bzw. Unsicherheit als individualisierbare Wahrnehmung in den Diskurs eingeführt - die Bedrohung ist dem Subjekt nach wie vor äußerlich. Das 'subjektive Sicherheitsbedürfnis' und vor allem seine Bedeutsamkeit im Diskurs IS, die ja für politische Diskurse einigermaßen ungewöhnlich ist, kann als erster Hinweis auf die Verbindung der Struktur des Subjekts mit dem Begriff der Sicherheit dienen.
Das Subjekt ist als gespaltenes konstituiert, das aber immer wieder versucht und versuchen muß, eine Einheit herzustellen und darzustellen. Das bürgerliche Subjekt muß ein einheitliches, kohärentes, autonomes sein, und es muß sich mit eben einer solchen Selbstidentität darstellen. Trotzdem ist gerade diese Notwendigkeit der Darstellung der Grund dafür, daß es sich eben immer wieder neu als gespaltenes herstellt. Denn die Darstellung wird zu allererst vom Subjekt selbst überprüft, das damit dann neben sich tritt, sich von außen betrachtet, sich also in diesem Moment der Darstellung verdoppelt. Wenn sich dieses verdoppelte Subjekt in der Form des Einheitlichen wieder vereinzeln will/soll, so ist dieses Einzelne notwendig ein Gespaltenes.
Dieser Blick von außen auf mich und durch mich (ich sehe mich so, wie ich denke, daß andere mich sehen - ich bin ein bißchen die anderen) ist grundsätzlich ebenso bedrohlich wie versichernd. Bedrohlich, weil er auf die Spaltung, die nicht sein darf, verweist, die also verdeckt werden muß - und deswegen auch versichernd, denn diese Verdeckung der Spaltung findet wiederum durch eben diesen Blick statt, der mich ja als Einheit sieht. Dieser Vorgang der Subjektivierung muß immer wieder wiederholt werden, da die Einheit sich ja eben nicht letztendlich erstellt, sondern immer wieder aufs neue über den Blick des anderen auf mich hergestellt werden muß - sie ist ein unabschließbarer Vorgang. Und in diesem Vorgang der Subjektivierung sind Einheit und Sicherheit als die Seite, die die Bedrohung durch den anderen abwehren sollen, unauflösbar miteinander verknüpft. Das Unabschließbare des immer wieder ist uns ja auf der Ebene des Diskurses der IS bekannt, in dem das Bestehende nie ausreicht, die Schraube auch immer noch weiter gedreht werden muß (so daß es z.B. kein wirkungsvolles Argument ist, wenn JuristInnen sagen, daß die bestehenden Gesetze durchaus ausreichten, würden sie nur angewandt).
An dieser Stelle sehen wir die Verbindung mit der Erstellung nationaler Einheit, die in diesem Diskurs konstituiert werden soll und die genauso unabschließbar ist wie die Einheit des bürgerlichen Subjekts. Daß es in der BRD nach 1989 immer um die Erstellung nationaler Einheit geht, scheint schon empirisch augenfällig zu sein. Wie sehr sich dieser Vorgang mit dem der IS gegenseitig verstärkt, insbesondere durch die Einsetzung des Anderen des Nationalen durch den Diskurs IS, werden wir im folgenden nachzeichnen. Um diese These von der Verschränkung der IS von Staat und Subjekt plausibler zu machen, haben wir uns zwei Figuren ausgeborgt, aus verschiedenen Diskursen, vor allem aber der ideologiekritischen Psychoanalyse, wie sie von Slavoj Zizek betrieben wird.


diebstahl des geniessens
Die Verschränkung von Genießen und Leiden, vom Leiden an den Verhältnissen und dem Einrichten darin markiert ein altes Problem der Linken: Warum bringen die Menschen die miesen Verhältnisse nicht zum Tanzen, sondern finden offensichtlich immer wieder so etwas wie Gefallen, ja Genuß an ihnen. Für eine theoretische wie praktische Kritik von Herrschaft stellt sich vor allem die Frage, wie Leiden und Genießen verknüpft und jeweils gewichtet werden. Wir denken, daß die 'wahren Bedürfnisse' der immer noch irgendwie 'objektiv revolutionären' leidenden Massen sich als Bezugspunkt in Deutschland seit 89/90 noch ganz anders erledigt haben als vorher. Und deshalb sind wir auch an einer Neu-Artikulation von Genießen und Leiden im kritischen Instrumentarium interessiert.
Das Fragment einer solchen Neu-Artikulation, um das es uns in der Figur des Diebstahls des Genießens geht, meint nun keine einfache Gegenüberstellung oder Ersetzung. Genießen meint hier nicht Lust, sondern wird jenseits des Lustprinzips verortet, es ist auch Leiden nicht einfach entgegengesetzt, sondern immer schon vielfach damit verschränkt: "Genießen ist genaugenommen 'Lust in Unlust', es bezeichnet die paradoxe Befriedigung, welche durch eine schmerzliche Begegnung mit einem Ding hervorgerufen wird, welches das Gleichgewicht des Lustprinzips stört." (Slavoj Zizek: Mehr-Genießen. Lacan in der Populärkultur, Wien 1992, S. 86, Fn. 23)
Das Genießen ist gleichzeitig unmöglich und doch der zentrale Punkt, um den das Subjekt kreist in seinen permanenten Versuchen, Stabilität und Souveränität zu erreichen. Das Genießen strukturiert das Subjekt und bleibt doch ein das Subjekt insofern immanent transzendierendes Moment, als es sich nicht dingfest machen läßt, sondern immer nur als Reste kaum greifbarer Dinge zu haben ist. Da das Subjekt aber nun dieses Genießen in seiner Fülle, Ganzheit etc., die es verheißt, nie erreicht, treten verschiedene Phantasmen auf den Plan. Diese Phantasmen, deren zentrales hier die Nation ist, werden jeweils durch ein Mehrgenießen strukturiert, das eine Reaktion auf die Unmöglichkeit des ersehnten Genießens meint und gleichzeitig die Darstellungsform dieses Genießens ist. Das Genießen ist als solches genausowenig zu haben wie der Wert, es begründet Veräußerungen - ein exzessives Mehr - und wird von diesen doch immer wieder hervorgebracht als notwendig vorausgesetzter Kern des Ganzen.
Als Beispiel mag der Mehrgenuß dienen, der seitens der VolksgenossInnen daraus gezogen wird, die Askese, die der faschistische Führer verordnet, also den Verzicht auf ein bestimmtes Genießen, als nationales Ding eben zu genießen. Dieses nationale Ding, undefinierbar und als fetischisiertes reale Folgen zeitigend, um das das deutsche Subjekt - das Objekt unserer Kritik - kreist, funktioniert über spezifische Ausschließungsmechanismen, die Konstruktion eines anderen. Die Figur des Mehrgenießens läßt sich als gedoppelte beschreiben: Das nationale Ding als Mehrgenießen braucht ein anderes Mehrgenießen, das es identitär konstituiert, und zwar gerade darüber, daß es etwas, jemanden gibt, der bzw. die 'unser' volles Genießen verunmöglicht, 'unsere' nationale Einheit durchkreuzt, weil dieser andere 'uns' das Genießen gestohlen hat. D.h. es wird ein Genießen im anderen entdeckt, der Reiz des anderen besteht präzise darin, daß er/sie dieses Genießen verkörpert, das 'uns' verwehrt ist. Und das führt dazu, die reine Anwesenheit des jeweiligen anderen, des Gegners des eigenen nationalen Dings, als unerträglich zu empfinden.


unerträgliche zustände im viertel - wo ist zuhause, mama?

Das hamburger Schanzenviertel wollen wir im folgenden immer wieder als Beipiel heranzitieren, einmal, weil es uns daheim konkret betrifft, dann aber auch, weil sich hier ein eigener kleiner IS-Diskurs entfaltet hat, der einerseits den allgemeinen Rahmen nicht verläßt, an dem sich andererseits aber verschiedene Aspekte aufzeigen lassen bezüglich der These, daß IS nicht nur eine globale Repressionsmaschine ist, sondern sehr flexibel und im Rückgriff auf lokale Besonderheiten funktioniert; daß hier im Viertel sicherheitsmäßig was zu holen ist, hat z.B. auch der Spiegel sehr schnell gemerkt und bereits im vorletzten Sommer in einem miesen Mehrseiter entsprechend ausgeschlachtet. Das Schanzenviertel ist ein traditionell linkes Viertel, ein Vorzeige-Multikulti-Viertel mit Szeneinstitutionen wie der Roten Flora und absoluten Mehrheiten für die GAL. Seit ungefähr drei Jahren ist das auch eben wieder beschworene Idyll gefährdet, massiv bedroht, zerstört; Ursache ist eine polizeiliche 'Säuberung', nicht des Schanzenviertels, sondern ein Abräumen der sogenannten 'offenen Drogenszene' in St. Georg und am Hauptbahnhof. Teile dieser Szene zogen daraufhin ins Schanzenviertel um. Was dann losging, war die mittlerweile sattsam bekannte Spirale von Medienhetze, Volkszorn, 'unfähigen' Politikern und deren schließliches Handeln in Form von verschärfter Repression gegen die Drogenszene (oder das, was damit identifiziert wird), d.h. v.a. massiver Bullenpräsenz. Die ganze Hetze und v.a. natürlich auch die Repression stürzte sich auf die Gestalt des 'Schwarzen Dealers'. So weit, so bekannt, so scheiße; interessant wird das ganze durch die genannte Besonderheit des Viertels, d.h. das linke, multikultimäßige. Es gründeten sich BürgerInnen-, Eltern- und sonstwie 'Betroffenen'vereine aus dem linksliberalen Milieu, die mit mehr oder weniger aggressiver Rhetorik die Hetze mitbetrieben, aber eben von links, von unten, nicht von vorneherein polizeifreundlich. Das bildete wiederum ein wesentliches Moment der allgemeinen Hetze: "Seht her, selbst im Multikulti-Viertel haben die Linken jetzt die Schnauze voll; das sagt doch alles, jetzt ist wirklich Schluß mit lustig."


aids verkaufen, genießen zocken

Die 'Schwarzen Dealer' scheinen sich nun besonders anzubieten als diejenigen, die dem Viertel wie seinen BewohnerInnen ihr Genießen geklaut haben. Nicht nur die übliche rassistische Projektion einer wilden exzessiven Sexualität auf 'schwarze Naturwesen', auch öffentliches 'Rumlungern', womöglich inklusive Markensportswear, und ein offensichtliches Nichtarbeiten bzw. ein Job in der Zirkulationssphäre lassen sie zu einer besonders reizvollen Verkörperung des eigenen, ewig frustrierten - also geklauten - Genießens werden.
Dies geht nun aber über eine einfache, durch das eigene Leiden motivierte Projektion insofern hinaus, als im Akt des Ausmachens des (mehr) Genießens im Anderen das eigene (Mehr-)Genießen, die deutsche Identität, hervorgebracht wird. Deutlich wird daran die Verknüpfung rassistischer staatlicher Politik, die über Arbeitsverbote, Illegalisierung etc. Zustände schafft, die sie dann bekämpft, mit der (Re-)Produktion deutscher Identität.
Was die 'Schwarzen Dealer' noch dazu prädestiniert, zur identitätproduzierenden Verkörperung des Mehrgenießens herhalten zu müssen, hat mit ihrer Erwerbstätigkeit zu tun. Sie verkaufen Stoffe, denen ein Genuß zugeschrieben wird, der - und dies gilt inbesondere für Heroin - unbedingt verworfen und verunmöglicht werden muß. Schließlich bedroht dieses spezifisch imaginierte Genießen gleichzeitig drei Garanten der Sicherheit: Der Staat exekutiert an den 'Schwarzen Dealern' die doppelte Verfolgung als rassifizierte 'kriminelle Ausländer', ergo innerem Feind. Das relative Ausscheren der wie die Dealer nicht ordentlich arbeitenden KundInnen aus dem beschleunigten Konsum verschiedener Waren zugunsten des vermeintlich perfekten Gebrauchswerts Heroin scheint den Warentausch in Frage zu stellen,2 und schließlich bedroht ein Genuß, der sich der subjektkonstitutiven Versprachlichung zu entziehen scheint, die innere Sicherheit des Subjekts. So bilden 'Schwarze Dealer', die über das Heroin mit dessen KonsumentInnen kurzgeschlossen werden, eine mehrfache Bedrohung, stehen als anderes der Sicherheit des Staates, der nationalen wie der Einheit des Subjekts entgegen und werden dementsprechend behandelt.


innere sicherheit als überschreitung des gesetzes
Die Nachfrage nach IS läßt sich nur unzureichend unter der Kategorie des (kalkulierbaren) Interesses fassen. Der Nachfrage liegt eine Struktur des Begehrens zugrunde, die durch eine prinzipielle Unabschließbarkeit ausgezeichnet ist. Es greift daher zu kurz, wenn man davon ausgeht, daß das unstillbare Begehren nach IS z.B. in der Einsetzung neuer, strengerer Gesetze sein 'wirkliches' Objekt findet. Gemäß einer Logik des Begehrens wären die Gesetze zwar begehrte Objekte, aber der Grund des Begehrens nach diesen Objekten ist etwas in diesen Objekten, das mehr ist als diese Objekte selbst, d.h. der Wunsch nach IS wäre nie zu befriedigen mit den gewünschten Gesetzen. Das konstitutiv gespaltene Subjekt kann in (offiziellen) Gesetzen nicht das finden, was es begehrt. IS kann ein solches Subjekt nur in der phantasmatischen Identifikation mit einer abgeschlossenen Ganzheit finden, d.h. in einer Identifikation mit einem Phantasma. Das bürgerliche (d.h. gespaltene) Subjekt muß ja wesentlich immer selbstbestimmtes, autonomes, individuelles sein, d.h. es muß als solches auf- und sich vertreten. Die wesentliche Ganzheit, mit der dieses Subjekt sich identifiziert, ist die Gemeinschaft.
Bezüglich der Frage der Gesetze scheint eine (vorbeigehende) Unterscheidung von Gesellschaft und Gemeinschaft3 sinnvoll: Die Konstitution einer Gemeinschaft, d.h. einer gemeinschaftlichen phantasmatischen Einheit, d.h. die gemeinschaftliche Identifikation mit dem Phantasma 'Gemeinschaft', folgt einem anderen Gesetz als den/m offiziellen. Gesellschaft konstituiert sich über die offiziellen Gesetze und die gemeinsame Achtung dieser Gesetze durch die Gesellschaftssubjekte. Gesellschaft erscheint als Form leer und abstrakt, alle Subjekte sind immer schon drinnen als frei und gleich und eigenverantwortlich. Für die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ist die Befolgung der offiziellen Gesetze nicht zureichend. Es gibt in Deutschland jede Menge Leute, die sich sehr genau an die offiziellen deutschen Gesetze halten, aber nie und nimmer als Mitglieder der Gemeinschaft der Deutschen angesehen und behandelt werden. Das 'andere' Gesetz, das die Konstitution einer Gemeinschaft reguliert, ist als anderes des offiziellen Gesetzes dessen geregelte Aussetzung. Eine Gemeinschaft konstituiert sich in bezug auf das offizielle Gesetz nicht durch dessen Befolgung, sondern durch die gemeinschaftliche, gemeinschaftlich sanktionierte Überschreitung des Gesetzes (es reicht auch die Identifikation mit den sanktionierten Überschreitungen, d.h. sie müssen vom Gemeinschaftssubjekt nicht wirklich selbst begangen werden; diese Identifikation muß aber von der Gemeinschaft anerkannt werden).
Auf der einen Seite konstituiert sich die bürgerliche Gesellschaft durch offizielle Gesetze, d.h. die abstrakte Allgemeinheit des kodifizierten, egalitären Rechts. Diese zeichnet sich aus durch Transparenz, Offenheit und Zugänglichkeit. (So erhalten selbst Flüchtlinge, die direkt am Flughafen abgewiesen werden, formal noch eine minimale Zusicherung von Rechtsgarantien, so die, ein Asylverfahren aus dem 'Heimatland' betreiben zu können.) Auf der anderen Seite findet sich ein Gemeinschaftsphantasma, das sich dunkel und opak konstituiert durch die geregelte Aussetzung der offiziellen Gesetze. Das 'Gesetz' der Gemeinschaft ist nicht weniger rigide als das offizielle, insofern die Überschreitungen streng reguliert sind. Das 'Gesetz' ist dabei als 'dunkel' und undurchsichtig zu beschreiben, als es nur denen 'bekannt' ist, die zur Gemeinschaft gehören. Es schließt jeden sekundären, etwa einklagbaren Zugang zur Gemeinschaft aus.
Es gehört also nur der/die zur Gemeinschaft, der/die weiß, oder vielmehr danach zu handeln versteht (denn es handelt sich hier nicht um 'theoretisch' formulierbares 'Wissen'), welches die sanktionierten Überschreitungen der offiziellen Gesetze sind. So ist die Gemeinschaft der deutschen Steuerzahler nicht primär die Gemeinschaft derer, die Steuern zahlen (das natürlich auch), sondern die Gemeinschaft der Kleinen Leute, die alle irgendwie beim Steuernzahlen bescheißen. Der Haß auf Boris Becker und andere 'Steuerflüchtlinge', die zudem das zu versteuernde Geld ohnehin unseriös verdienen, resultiert aus deren gemeinschaftlich nicht anerkannter Art, sich dem Steuerzahlen zu entziehen, indem sie beispielsweise nach Monaco, Belgien oder Florida auswandern. Die immer beilaufende augenzwinkernde Beteuerung des Normal- Steuerzahlers, genauso zu handeln, wenn er denn genug verdienen würde, ändert nichts am Affekt gegen die 'Flüchtlinge', und nährt noch die gemeinschaftliche Identifikation derer, die in ihrem Sozialneid im Lande bleiben und redlich zahlen.
Auf der Ebene der Bedeutung scheinen sich beide Seiten der Gesetzlichkeit, d.h. die Seite der offiziellen Gesetze und die Seite der Überschreitung auszuschließen, von ihrer Funktionalität her aber sind sie komplementär, d.h. sie sind gegenseitig aufeinander angewiesen. Als Beispiel kann der Karneval dienen, auch in seiner ursprünglichen, volkstümlichen Variante: Er ist gekennzeichnet durch die temporäre Aussetzung aller sonst geltenden Gesetze, es findet sogar eine allgemeine gender-Travestie statt; hierin erscheint er antiautoritär und als eine Verhöhnung der Macht. Gleichzeitig ist der Karneval streng geregelt, v.a. zeitlich. Die Aussetzung der offiziellen Gesetze erzeugt das Gespenst einer Umkehr der allgemeinen Machtverhältnisse; dies wiederum ist konstitutiv für die legitimatorische Selbsterhaltung der offiziellen Ordnung: Am Aschermittwoch ist alles vorbei.

Die Überschreitungen, die die Gemeinschaft konstituieren, erzeugen für die Überschreitenden das Gefühl einer Distanz zur Macht der offiziellen Ordnung, genau damit aber gewährleistet die Überschreitung das umso bessere Funktionieren der Ordnung. In diesen Zusammenhang läßt sich vielleicht die Rolle der rassistischen Pogrome und der gewalttätigen RassistInnen in den Jahren nach der Vereinigung für das innere Einswerden Deutschlands einordnen: Die rassistischen deutschen TäterInnen, konstituieren sich als handlungsmächtige Subjekte, indem sie sich zunächst als Opfer delirieren, als Opfer einer Macht, die sie abstrakt als 'die da oben' wahrnehmen, einer Macht, die durch Versagen und Verrat gekennzeichnet wird. Gleichzeitig wähnen sie sich als Opfer einer Bedrohung durch die anwesenden oder auch nicht anwesenden Nicht-Deutschen: Diese werden konstruiert nach der Figur des genießenden Anderen; gegen diese hätte die Ordnung längst Maßnahmen ergreifen müssen. Die deutschen Universalopfer werden aktiv und beweisen ihre Souveränität, indem sie mit ihren deutschen Mitopfern gemeinschaftlich das offizielle, unzureichende Gesetz übertreten; sie nehmen ihr Problem selbst in die Hand und finden oder spenden Rückhalt in oder als Gemeinschaft der jetzt aktiv werdenden Opfer. Von 'denen da oben verraten und im Stich gelassen', akzeptieren die RassistInnen das Gesetz 'von denen' nicht und machen das, was offiziell verboten ist, sie ermorden Nicht-Deutsche oder versuchen es. Die Funktion für die TäterInnen und die Funktion für Deutschland greifen ineinander: Der Beweis, den die TäterInnen für ihre Handlungsmacht und Souveränität erbringen, indem sie sich gegen die Ordnung setzen, erlaubt es genau dieser Ordnung, sich auf viele Arten verbessert zu reproduzieren: Die perspektivlosen Vereinigungsopfer müssen ernst genommen werden, an ihnen muß sich die innere Vereinigung bewähren; ihre Probleme sind, wenn auch verzerrt, unser aller Probleme; das Objekt des Hasses, die angegriffenen 'nicht-deutschen' Leute, werden als bedrohliches Objekt zum Gegenstand der Sorge für die Ordnung, an ihnen wird Handlungsbedarf festgemacht und Handlungsfähigkeit demonstriert und exekutiert.
Interessant hierbei ist, daß dieser Prozeß nur funktioniert, wenn die vorkommenden 'wirklichen konkreten Menschen' als Verkörperungen von Gespenstern auftauchen, der Gemeinschaft oder der bedrohlichen spukhaften Macht, etwa der 'Asylantenflut' oder der 'Russen-', 'Albaner-' oder 'Usbekenmafia'. Die Konstitution der Gemeinschaft produziert immer gleichlaufend schützende und bedrohliche Gespenster.
Entscheidend für die Konstitution der besonderen Gemeinschaft des rassistischen deutschen Kollektivs im Vereinigungsdeutschland 1990 ff ist, daß die Überschreitung des offiziellen Gesetzes sich gegen Dritte richtet, die auch vom offiziellen Gesetz ausgeschlossen und diskriminiert werden, womit die Überschreitung sich sehr schnell als Komplement ihrer offiziellen Reintegration zu erkennen gibt. Daß sich Handlungsfähigkeit im Kollektiv durch die gemeinschaftliche Überschreitung des Gesetzes auch als nicht-staatstragende oder nicht-rassistische zu konstituieren vermag, ob auf der Demo oder beim Zerlegen einer Saalbestuhlung, sei hier nicht in Abrede gestellt.
Das hier angesprochene Phänomen der Distanz zur Macht, die in der Überschreitung der Gesetze hergestellt wird und die aber genauso unabdingbar für das Funktionieren der Macht ist, ist kein Phänomen, das nur auf gewalttätige Nazis und deren SympathisantInnen paßt, sondern auch unabdingbar ist für die Konstitution des/der mündigen Normalo-StaatsbürgerIn; ohne dieses Gefühl der Distanz könnte keinE BürgerIn sich als souverän und selbstbestimmt setzen. Und ohne diese souveränen BürgerInnen und deren distanzierte Identifikation mit der Macht könnte keine moderne Demokratie funktionieren. Die Distanz ist deswegen notwendige Vorraussetzung der Identifikation, weil deren Alternative die Überidentifikation ist, in der keine Differenz mehr existiert, so daß sich im Identifikationsmodus der Überidentifikation kein Subjekt konstituieren kann. Die zugespitzte Variante der distanzierten Identifikation könnte man Zynismus, vielleicht postmodernen Zynismus nennen, das Gefühl, mit der ganzen blöden Politik nix zu tun zu haben, viel zu schlau für die ach so langweilige Ordnung zu sein etc.


was hat das alles mit innerer sicherheit zu tun? zusammenfassung und ausblick
Ausgangsfrage war, was das Subjekt wünscht, wenn es IS wünscht, was also der subjektive Faktor des Diskurses der IS ist. Nach dem Bisherigen ist die Frage nicht zu beantworten ohne Bezug auf eine Gemeinschaft, ein Gemeinschaftsphantasma, das das Subjekt als das seinige anerkennt in einer Identifikation damit. Dieses Phantasma konstituiert sich in einer Überschreitung der offiziellen Gesetze und muß dabei seine Wirkmächtigkeit erweisen gegen ein Gegenphantasma, das ebenfalls in der Überschreitung konstruiert wird: ein Gespenst, das die Gemeinschaft bedroht und das die offizielle Ordnung nicht in den Griff bekommt. Der gemeinschafts- und sicherheitsbedrohende Andere/Feind ist dabei insofern gespenstig, als er in seiner jeweilig konkreten Gestalt immer nur Verkörperung von etwas ist, was über diese Verkörperung weit hinaus geht und in dieser nie auf; gegen diese spukhafte Bedrohung sind die offiziellen Gesetze notwendig immer defizitär, sie kommen nie an das Wesen der Bedrohung heran, und deshalb müssen die Gemeinschaftssubjekte die bestehenden Gesetze immer wieder überschreiten.
Dargestellt wurde dies bisher als allgemeine Struktur: Das bürgerlich gespaltene Subjekt stabilisiert sich und findet IS in der Identifikation mit seinem Gemeinschaftsphantasma, das darin lebt und wirkmächtig wird. Diese Gemeinschaft konstituiert sich in geregelten, gemeinschaftlich sanktionierten Überschreitungen der offiziellen Gesetze; die offizielle gesellschaftliche Ordnung wird damit aber nicht in Frage gestellt, sondern stabilisiert sich in diesen geregelten Überschreitungen und vervollkommnet ihre Funktionalität. Der Diskurs der IS greift auf diese Struktur zurück und kann nur in dieser Struktur funktionieren. Interessant ist nun die Frage, inwieweit der Diskurs in besonderer Weise auf die dargestellte allgemeine Struktur bezug nimmt und in seine Funktion als Herrschafts- und Kontrollmechanismus miteinbezieht. Dazu einige Ideen: Im Rückgriff auf die dargestellte Struktur der Subjekt- und Gemeinschaftskonstitution kann der Diskurs seine eigene prinzipielle Unabschließbarkeit produzieren, insofern, als IS das Unmögliche ist in dem Sinn, daß Sicherheit nur hergestellt werden kann über die gleichzeitige Produktion unfaßbarer Bedrohungen. Hinter diesen Bedrohungsphantasmen muß die Gesetzgebung immer hinterherrennen, sie ist immer zu spät. Die Asylrechtsabschaffung z.B. produziert das Problem 'illegaler' Zuwanderung und das der 'Schlepper'; die immer restriktivere Flüchtlingsbehandlung (Internierung, Freßpaketscheiße, Asylcard, Asylbewerberleistungsgesetz) ist immer noch und immer wieder nicht zureichend für den offen eingestandenen Abschreckungswunsch, die Flüchtlinge schaffen es trotzdem immer noch irgendwie und es kommen trotzdem noch welche neu ...
Dabei wird selbst auf der offiziellen Seite des Diskurses offen mit spukhaften Konstruktionen gearbeitet, die ihre Unausschöpfbarkeit schon in sich tragen. Die offizielle Seite des Diskurses erhält seine eigene 'Unzulänglichkeit', indem ihr Zuständigkeitsbereich strategisch offen gehalten wird: Was zur "organisierten Kriminalität" gehört, muß immer weiter ausdefiniert werden. Vielleicht zeichnet sich der IS-Diskurs vor anderen auch dadurch aus, daß in diesem Diskurs die Angewiesenheit der gesellschaftlichen Ordnung auf die beschriebene Struktur immanenter Überschreitung als Teil der öffentlichen Debatte miteinbezogen und offengelegt wird. Schulbuchmäßig, d.h. z.B. bei Zizek, gehört zu der Doppelstruktur des Gesetzes, daß der inoffizielle Teil, die notwendige Überschreitung, verschwiegen werden muß und daß durch eine Offenlegung die Funktionalität nicht mehr gewährleistet wäre. Das scheint beim IS-Diskurs anders zu funktionieren: Kohl hat im Bundestag in der Hochzeit der 'Asyldebatte' den Staatsnotstand ausgerufen, der durch die Reform, i.e Abschaffung des Asylrechts abgewendet werden sollte. Wesentlicher Bestandteil dieser Notstandsdiagnose war der in den Monaten zuvor massenhaft unter Beweis gestellte Wille des deutschen Mobs zum rassistisch motivierten Gesetzesbruch.
Runtergeschaltet ins Schanzenviertel findet sich dieselbe Figur 'virtualisiert' und erweist sich als durchaus anschlußfähig an bestimmte linke Argumentationsmuster. In den Debatten taucht stereotyp ziemlich schnell ein Bürgerwehrgespenst auf: Gedroht wird mit einer zukünftigen gewalttätigen Überschreitung des Gesetzes. Dabei erscheint es uns nahezu gleichgültig, ob Leute mit ihrem eigenen Potential drohen (was ziemlich selten passiert), oder ob linke FürsprecherInnen zwar angstvoll, aber irgendwie verstehend damit drohen, daß "die Leute [für die sie Politik machen] das irgendwann nicht mehr aushalten und sich wehren". Damit wird vorgegeben, eine Eskalation verhindern zu wollen, die sie mit ihrer eigenen Organisierung als BürgerInnen(fürsprecher)verein betreiben. In dieser selbsterzeugten Gespensterwelt zwischen 'Schwarzem Dealer' und Bürgerwehr stehen die Fürsprecher als realistische KleinpolitikerInnen vor Ort als vernünftig, auf- und abgeklärt da; sie wollen weder hysterisch-paranoid sein noch ideologisch rangehen und setzen das als Standard für das jeweilige Gesprächsgegenüber. Am Horizont lacht die grüne grassroot-IS. Kann man hier als linkeR KritikerIn politikfähig bleiben (wollen)? j., m. und p.

1 Die Differenz von Antisemitismus und Rassismus bleibt bei Zizek weitgehend unklar. Zwar betont er den paradigmatischen Charakter des "begrifflichen Juden" des Antisemitismus für die phantasmatische Konstruktion des anderen, wäre aber in Bezug auf die Verankerung des modernen Antisemitismus in warenfetischistisch strukturierten Verhältnissen mit Moishe Postone zu kritisieren, der in seinem oft veröffentlichten Aufsatz Nationalsozialismus und Antisemitismus gerade die Spezifizität des modernen Antisemitismus herausarbeitet. Der Artikel, der eine solche Kritik - vor dem Hintergrund weitgehender Übereinstimmung im Bezug auf die Marxsche Fetischismuskritik - leistet, ist noch zu schreiben.
2 vgl. hierzu und zur Infragestellung der Subjektform happy birthday, heroin! von Lars Quadfasel in diesem Heft.
3 Die Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft ist in dieser Abstraktheit eine deutsche: Sie ist von vornherein, im Namen (wiederzuerlangender) deutscher Gemeinschaftlichkeit, ressentimentgetränkt gegenüber den westlichen Gesellschaften und ihrer Zivilisation.