Rechtsfetischismus. I fought the law but law won

"Die Kritik des Himmels verwandelt sich damit in die Kritik der Erde, die Kritik der Religion in die Kritik des Rechts, die Kritik der Theologie in die Kritik der Politik." (Karl Marx, Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW Bd.1, S. 379)

Rationalität und Irrationalität < Das Zitat des jungen Marx deutet an, was die französische Revolution vermeintlich nicht zu vollbringen wußte. Die absolute Aufklärung, die Entdeckung der Ratio, die Rückführung aller Vorstellungen auf das Weltliche hatte sich aber nicht nur der junge, ‘humanistische’ Marx auf die Fahnen geschrieben. Die marxistisch sich verstehende Gesellschaftskritik in allen ihren Spielarten vermochte bis heute nicht die Dichotomie von Rationalität und Irrationalität aufzulösen. >

Das Recht thematisiert die Rationalität in sich selbst, es ist die "ratio scripta der warenproduzierenden Gesellschaft" (Paschukanis)1 < Die marxistische Rechtskritik bewegte sich parallel zu den Höhen und Tiefen der marxistischen Gesellschaftskritik insgesamt – ausgehend von Marx’ früher Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie bis zum traurigen Ende der Habermasschen post-festum-Begründung der Menschenrechte als "Diskurstheorie des Rechts". Dementsprechend müßig wäre eine eigenständige Geschichtsschreibung marxistischer Rechtstheorie. Augenfällig bei den kritischeren Elementen einer solchen Theorie ist lediglich das 1924 erstmals erschienene Buch von Eugen Paschukanis, Allgemeine Rechtslehre und Marxismus, ein Versuch der Kritik der juristischen Grundbegriffe, das in den siebziger Jahren ein Rezeptionsrevival erfuhr. >

Eugen Paschukanis < Der Autor erlebte in den zwanziger Jahren einen raschen Aufstieg als ‘Rechtspapst’ der Sowjetunion – jedoch auch einen abrupten Fall. 1937 verschwand er und wurde vermutlich vom sowjetischen Geheimdienst ermordet. Sein Buch war tatsächlich ein Versuch, einige – vor allem von Marx inspirierte – Gedanken zum Recht als Beziehungsform bürgerlicher Vergesellschaftung zu systematisieren und hierfür speziell von der Warenanalyse im Kapital auszugehen. Insgesamt blieb diese Skizze jedoch eine Verarbeitung zeitgenössischer rechtstheoretischer Debatten auf der Basis eines klassischen Arbeiterklassenmarxismus. Ungewöhnlich war die Betonung der Marxschen Methode, die Paschukanis recht schematisch aus dem "Methodenkapitel"2 auf die aus Deutschland stammende sogenannte Allgemeine Rechtslehre zu übertragen versuchte. >

Warenform und Rechtsform < Originär war Paschukanis’ Analogisierung der Rechtsform mit der Warenform. Diese Idee mußte bei ihm allerdings in ihren Anfängen stecken bleiben. So ist die – auch empirisch offenbare – rechtsförmige Regulierung sozialer Verhältnisse untrennbar mit dem Tausch abstrakter Arbeitsquanta verbunden – übrigens auch in der staatssozialistischen Warenproduktion als "erster Phase" (Marx)3 des Kommunismus. Nur: wie generiert sich dieser Zusammenhang? Unter anderen politischen Bedingungen formulierte Alfred Sohn-Rethel seine These von der Wertform als Transzendentalsubjekt.4 Fast gleichzeitig mit Paschukanis analysierte Georg Lukács5 – der sich ebenso wie Paschukanis auf das "Methodenkapitel" bei Marx bezog – die Verdinglichung der Wissenschaften – auch der Rechtswissenschaft. >

Die Produktion von Rechtstheorie < Der bürgerliche und damit auch der juristische Wissenschaftsbetrieb enthebt sich heute zumeist jeder Beschäftigung mit dem Marxismus und seinen Ausläufern; auch daher entgeht ihm seine eigene Verdinglichung. Von Engels und Kautsky6 stammt bereits die These, daß eine allgemeine "juristische Weltanschauung" die religiöse des Mittelalters abgelöst habe. Der Marxismus in seiner untergegangenen offiziellen Version hat es dem Wissenschaftsapparat einfach gemacht, die marxistische Theorie heute insgesamt zu ignorieren. So sollte bereits die frühe sowjetische These des schnellen Absterbens von Staat und Recht als augenscheinlichster Beweis für den Utopismus und die eschatalogische Heilslehre des Marxismus dienen. Und erst recht nach der von Stalin forcierten Rückkehr auf den Boden der ‘faktischen Vernunft’ von Staat und Gesetz bedürfe die marxistische Rechtskritik keiner ernsthaften Auseinandersetzung mehr. Innerhalb der marxistischen Rechtstheorie selbst verliefen die Diskussionen entlang der Frage, ob der Erkenntnisgegenstand Recht jeweils noch erhalten oder gänzlich durch das Ökonomische bzw. einen Marxschen Szientismus des Spätwerkes liquidiert sei. So versuchte der an Althusser orientierte Poulantzas den Gegenstand Recht mittels einer "relativen Autonomie" der verschiedenen "Strukturen" eines nur irgendwie einheitlichen Ganzen zu retten. Zugegebenermaßen enthält Poulantzas’ Staatstheorie7 wichtige und neue Elemente der verkümmerten marxistischen Staatstheorie. Andere suchten die marxistische "kritische" Rechtstheorie als ‘kritischen Diskurs’ für das bürgerlich-akademische Publikum zu retten. Von der staatssozialistischen offiziösen Rechtstheorie soll hier gänzlich geschwiegen werden. >

Standpunkt und Methode < Daß die Methode ihren Gegenstand hat und der Gegenstand seine Methode oder die Methode Gegenstand und der Gegenstand Methode ist, wurde in der Rechtstheorie selten thematisiert. Durch den Neukantianismus um die Jahrhundertwende beeinflußt war für das Recht immerhin formuliert worden, daß die Methode – hier die Erkenntnis des Sollens – den Gegenstand konstituiert: als Gegenstand einer Zweck- oder Wertwissenschaft, genauer gesagt als Form bestimmten Erkennens; im Gegensatz zum Inhalt bzw. den Zwecken dieses Erkennens überhaupt, z.B. den ökonomischen, ‘materiellen’, ‘kausalgesetzlichen’ Vorgängen selbst. Für die verkürzte, sich kritisch gebärdende Rechtstheorie mußte es dagegen immer einen Ort geben, von dem aus Kritik am Recht möglich war: zuerst den der Arbeiterklasse, irgendwann den der Unterdrückten und schließlich den des Menschheitsstandpunktes überhaupt; es ging jedoch immer um die "Zu-kurz-Gekommenen" bzw. um das Subjekt. Hierfür hat die moderne, teils positivistisch, teils neukantianisch beeinflußte Rechtstheorie selbstverständlich nur ein müdes Lächeln übrig. Da Sein und Sollen ohnehin unüberbrückbar getrennt seien, gebe es entweder eine reine Theorie des Sollens und der Norm oder Moral-, Politik- und Sozialwissenschaft. Dies ist vor allem mit aller Schärfe gegen die frühbürgerlichen Ideologien des letzten Jahrhunderts in der Nachfolge der Französischen Revolution ausgesprochen worden. >

Recht als Formproblem < Paschukanis hat sich zwischen drei Polen bewegt: der Kritik bürgerlicher Gleichheits- und Freiheitsideologie, die bereits Marx in den Grundrissen philosophiekritisch auf die Wertform zurückgeführt hatte, der Hegelschen Geschichtsteleologie im Gegensatz zum (neu)kantianischen Kritizismus und schließlich dem Versuch der Formkritik als Methode. In gewisser Weise versuchte er dabei, die Dichotomien von Sein und Sollen, Kausal- und Wertwissenschaft unter dem Blickwinkel der Einheit des Sozialen und dem Telos der Geschichte aufzulösen. Paschukanis’ Terminus "Rechtsform" verweist dabei insofern auf die oben genannten Dichotomien, als er das Problem des Rechts nicht als Inhaltsproblem, sondern als eines der Form(en) gesellschaftlicher Verhältnisse begreift. Die neukantianische Rechtsphilosophie geht hingegen von Denkformen des Rechts a priori aus, welche sich in bestimmten abstrakten Kategorien ausdrücken, jedoch nicht genetisch bzw. historisch ableitbar seien, sondern dem Denken selbst vorausgesetzt. So sei der Begriff des Rechtssubjekts als apriorischer Begriff im rechtlichen Denken notwendig enthalten. >

Rechtssubjekt und Rechtsfetischismus < Paschukanis nahm jedoch die Begriffe historisch-kritisch auf und wollte sie genetisch ableiten bzw. rekonstruieren als identischen Teil der konkreten Totalität, wobei er z.B. das Rechtssubjekt als die theoretische wie reale Abstraktion des Warensubjekts entwickelte. Ob Paschukanis das Formproblem im Sinne der Marxschen Warenanalyse auf den Gegenstand Recht ‘richtig’ zur Anwendung brachte, ist allerdings zweifelhaft. Denn er scheint sich selten über die Ebene der Soziologie hinauszubewegen und begreift nur darin die Rechtsform als das Verhältnis, in welchem das bürgerliche Subjekt sich notwendig vergesellschaftet, eben als Reflex der Warenform, der Keimform dieser Vergesellschaftung. Da die Waren nach Marx bekanntlich nur von ihren "Warenhütern" auf dem Markt ausgetauscht werden können,8 bedarf es nach Paschukanis, nachdem das nimmersatte Kapital alles – im räumlichen und ideellen Sinne – als Ware unter sich ‘subsumiert’ hat, eines weiteren besonderen Verhältnisses der Menschen zueinander: nämlich das abstrakter Rechtssubjekte. Da selbst die Arbeitskraft zur Ware geworden ist, entspinnt sich ein Netz von Rechtsverhältnissen, in dessen Knotenpunkten die Menschen mit ihrem Doppelcharakter von abstraktem Tauschsubjekt und konkretem ‘Gebrauchs’subjekt gefangen sind. Das Recht bzw. das Rechtssubjekt ist daher für Paschukanis ein "rätselhaftes Phänomen", da die willensgeleitete Herrschaftssphäre des autonomen Subjekts diesem selbst zugeschrieben wird, es also nicht als gesellschaftliches Verhältnis dechiffriert werden kann. So nähmen im Produktionsprozeß die Verhältnisse der Menschen doppelt rätselhafte Form an: als Verhältnis von Dingen und als willensmäßige Beziehung voneinander unabhängiger, gleicher Einheiten, eben von Rechtssubjekten. Dies macht den "Rechtsfetischismus" aus. Seine Geschichtsteleologie ist eine der Ausdifferenzierung und Genesis der Warenproduktion, ihrer vollständigen Entfaltung zum archimedischen Punkt des sich selbst verwertenden Wertes. Diese erzeugt notwendigerweise den gleichen und freien Menschen in reinster Gestalt, ähnlich wie Marx in den Grundrissen zur Kritik der politischen Ökonomie die Bestimmung der Gleichheit auf die verdinglichte Form der menschlichen Beziehungen zurückgeführt hat in seiner Beschreibung der totalen Ware-Geld-Monade. Gleich sind die Menschen nach Marx insofern, als sie als Subjekte des Austauschs die identische Formbestimmung im Bezug aufeinander erfahren: "Jedes hat dieselbe gesellschaftliche Beziehung zu dem andren, die das andre zu ihm hat".9 Diese Abstraktionsleistung der Subjekte ist aber nicht identisch mit der des Tauschwerts oder der des Tausches. Im Tauschakt selbst erscheint die Gleichheit unmittelbar in zwei Beziehungen: der der Objekte und der der Subjekte. Entsprechend existiert die doppelte Gleichgültigkeit gegenüber dem Einzelnen und der "natürlichen Besonderheit" (Marx) der Ware. >

Staat und Macht und Geld... < Paschukanis’ Fragestellungen führen zu einer grundlegenden Formkritik des bürgerlichen Subjekts über die Thematisierung des Rechts als Form. Seine theoretischen Inkonsistenzen10 und die des späteren ‘Marxismus’ als ‘Diamat’ überhaupt bedürfen hier keiner weiteren Thematisierung. Heute sind die Diskurse um Recht und Rechtsstaat (was ideologisch bereinigt übrigens nicht mehr bedeutet als: moderner Staat) so selbstverständlich und internalisiert, daß die Kritik des Rechts nicht mehr umschlagen kann von einer Inhaltskritik in eine Formkritik, und damit in eine Kritik der Quasi-Vergesellschaftung durch das Recht. Insofern geht es noch heute um bessere, gerechtere Gesetze, nicht jedoch um die ‘dreifaltige’ Form Recht, Gesetz und Staat als Modus des gesellschaftlichen Verhältnisses Kapital. So alt wie die Begriffe Schuldner und Gläubiger sind, so moderne Funktionen erfüllt das diese Begriffe ausdifferenzierende moderne Recht als essentieller Bestandteil und selbstverständliche Handlungs- und Denkform des fetischistischen Bewußtseins. Die bürgerliche Subjektivität scheint so eng mit der Rechtssubjektivität verknüpft zu sein, daß sie sich selbst nicht mehr thematisieren kann. Wenn einerseits Kritik nur als Inhaltskritik, als Kritik an dem Ungerechten oder Unangemessenen laut wird – was bereits den Diskurs des Rechts anzeigt – so ist andererseits die Rechtskritik – auch wie sie über Paschukanis rezipiert wird – am Gebrauchswert orientiert. Das Recht abstrahiere von den wirklichen Individuen, sei gleichmacherisch, löse alle konkreten Beziehungen der Subjekte in abstrakt-allgemeine auf usw. Wenn auch diese Kritik auf der beschreibenden Ebene angemessen erscheint, so verführt sie doch wiederum zu einen Anthropologismus und einer Gebrauchswertontologie: dem Wunsch, zum wirklich bedürftigen Menschen zurückzukehren, der von der feindlichen Wertvergesellschaftung verschüttet wurde und der Befreiung harrt. >

Die Norm ist weder Wert noch Faktum, sie ist Geltung als Abstraktion < Wenn hingegen über die Kritik der Rechtsinhalte und des rechtlichen Abstraktionsprozesses hinaus das Gesetz thematisiert wird, dann damit immer zugleich der Staat, jedoch auch heute noch als eine ‘über’ den Subjekten tatsächlich stehende Gewalt, gegen welche das empirische Subjekt ‘sein’ Recht erkämpfen muß. Historisch-empirisch mag man Recht, Gesetz und Staat als je schon Unterschiedenes verstehen können. Hier lauert jedoch nicht allein die Gefahr einer kruden Anbiederung an den Positivismus, insofern wiederum nur von bereits konstituierter Daseinswelt – Rechten, durchzusetzenden Gesetzen und der Staatsgewalt – ausgegangen wird. Es ist zugleich und andererseits auch Metaphysik. Denn die Rede vom Recht gegenüber der von Staat und Gesetz verlangt entweder tatsächlich die fachwissenschaftliche Segmentierung des Rechts als subjektives, bzw. dem Subjekt zuzuschreibendes Recht, welches sich in Soziologie und Psychologie auflösen läßt, oder einen natur- bzw. vernunftrechtlichen Rest guter Ontologie. Insofern ist das Recht eine Fiktion – sei es als "Schlachtruf der Bourgeoisie" oder der "Arbeiterklasse" – und es ist wiederum als Diskurs keine Fiktion. Der theoretisch formulierbare Gegensatz vom Recht des Subjekts und der Staatspflicht ist damit kein realer. Das zunächst festgestellte Defizit an marxistischer Staatstheorie ist dabei nur ein vermeintliches. Denn schon der Diskurs vom Staat metaphorisiert die Macht als allseits prästabiles Metasubjekt oder auch nur als besonderen Ausschuß der ohnehin schon Herrschenden (Klasse) – eine augenfällige Tautologie. Auch die Vorstellung vom Staat ruft die Dichotomie zwischen realer materialisierter Einheit und der Abstraktion als System von Normen hervor, die eine bestimmte zeitliche und räumliche Geltung beanspruchen. Kritik des Rechts ist hingegen notwendig immer schon Kritik des Staates. Denn das Recht ist weder als Faktum noch als Norm zu begreifen. Die Norm ist weder Wert noch Faktum, sie ist Geltung als Abstraktion. Das gesellschaftliche Verhältnis Kapital reproduziert nicht allein das gesellschaftliche Verhältnis – sich selbst –, sondern auch seine verendlichten Resultate als Entitäten, zu denen auch das Warensubjekt selbst zählt. Nur diese Resultate können Gegenstand der (Fach-)Wissenschaften sein. Das gesellschaftliche Verhältnis Kapital selbst ist die Wissenschaft schlechthin, nicht aber ihr Gegenstand. Wenn dieses Verhältnis Geltung beansprucht, dann nur aus sich selbst heraus. So versuchte Marx dies im Ersten Band des Kapitals zu entwickeln: als geltungserhaltendes System "verrückter Formen", nicht jedoch als empirische Analyse einfacher Warenproduktion oder verschiedener Stufen des Kapitals bzw. historischer Kapitalformen.>

Der Tausch als Ursprungsort der Rechtssubjektivität < Unter dieser Prämisse bleibt die Frage nach der Geltung. Sie kann zunächst nur historisch rekonstruiert werden. Der Prozeß der Verdoppelung von Ware in Ware und Geld, das Geld als die aus der Zirkulation "ausgeschwitzte" besondere Ware, ist hierfür Ausgangspunkt. Das Geld als allgemeines Äquivalent, als sichtbar gewordene Verdinglichungsstruktur des gesellschaftlichen Verhältnisses ist selbstverständlich an die materielle Gewalt des Staates ‘gebunden’ – um nicht zu sagen: Im schlecht Hegelschen Sinne ist das Geld strukturell Erscheinung des Wesens abstrakter Allgemeinheit (aber dies wäre wieder nicht-historisch). Nur die Herausbildung eines ökonomischen Raumes unter Garantie einer zentrierten Macht scheint Bedingung der Möglichkeit der Existenz von Geld zu sein. Damit wären allerdings zunächst nur die Geldfunktionen des gesellschaftlich gültigen Tauschmittels und Geld als Wertaufbewahrungsmittel verstehbar. Da es jedoch auch hier kein Erstes und keinen Anfang gibt, ließe sich auch der Staat aus der gesellschaftlichen Gültigkeit des Tauschmittels Geld ‘ableiten’. Insofern ist überhaupt eine Gleichursprünglichkeit zu konstatieren. Abgesehen von der Frage des Zuerst bliebe noch die der Funktion des Geldes, Darstellunsgform abstrakter Arbeit zu sein. Dieser Punkt verdeutlicht, daß ein bloß historisches Verständnis der Verdoppelung von Ware in Ware und Geld in den Positivismus zurückführen muß. Denn wie kann sich die Ware verdoppeln, wenn es keine abstrakte Arbeit, kein System der Arbeit gibt? Das System der abstrakten Arbeit ist dabei der Begriff des gesellschaftlichen Verhältnisses, dem Kapital. Geld als Darstellungsform dieser Arbeit ist der notwendige Schein, die handgreifliche Gültigkeit des Systems der abstrakten Arbeit. Alfred Sohn-Rethels Begriff der Realabstraktion ist dagegen tatsächlich eine Abstraktion vom System der abstrakten Arbeit. Die Identifizierung des Gegenstandes Ware als notwendig selbstidentisches Objekt der Aneignung im Tausch, also die Abstraktion von der Besonderheit der Ware bei Sohn-Rethel – ausgehend von der Einzigkeit des Daseins11 – ist nur ein Bild, eine Metapher für die Geltungsfrage. Da Sohn-Rethel die Arbeit nicht als Teil des gesellschaftlichen Verhältnisses thematisiert, bleibt auch die erkenntnistheoretische Geltungsfrage abstrakt auf der Ebene des Tauschverhältnisses stehen, genau dort, wo auch Paschukanis stehen blieb. Denn der Tausch – bei ihm als Ursprungsort der Rechtssubjektivität und des Reflexes einer Verdinglichungsstruktur der Autonomie des freien Willens – konnte das Verhältnis der Norm nicht bestimmen. >

Der Tausch als Ursprungsort der Rechtssubjektivität < Paschukanis konnte das von ihm fokussierte Verhältnis der Warenbesitzer zueinander nicht übertragen bzw. dialektisch umschlagen lassen auf die Form, in welcher sich dieses Verhältnis vermittelt: das Gesetz, die Norm. Doch sie gilt nur solange, als der Staat in seiner verdinglichten Macht ebenso wie das Geld Geltung beansprucht. Und dies gilt bis zum Ende des Systems abstrakter Arbeit und einer juristischen Weltanschauung, welche Ausdruck eines transzendenten Sollens ist, das seinen Ursprung verdeckt und in den verdinglichten Formen der Gewalt, dem Staat als Rechtsstaat auftritt. >

A. Harms

 

1 Eugen Paschukanis, Allgemeine Rechtslehre und Marxismus, russisch 1924, deutsch zuerst 1929 (Neuauflage Freiburg 1991). Alle im folgenden nicht näher gekennzeichneten Zitate und Bezugnahmen stammen aus diesem Werk.

2 Vgl. Karl Marx, Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, S. 635 ff.

3 Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19, S. 21

4 Alfred Sohn-Rethel, Die soziologische Theorie der Erkenntnis, Frankfurt a.M. 1985, Einleitung von Jochen Hörisch: Die Krise des Bewußtseins und das Bewußtsein der Krise, S. 15

5 Vgl. Georg Lukács Geschichte und Klassenbewußtsein, in: Werke Bd. 2, Neuwied 1968, S. 161 ff.

6 Karl Marx, Juristensozialismus, MEW Bd. 21, S. 491

7 Nikos Poulantzas, L’etat, le pouvoir, le socialisme, Paris 1977, deutsch: Hamburg 1978

8 Karl Marx, Das Kapital, 1. Bd., MEW Bd. 23, S. 99

9 Karl Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 42, S. 153

10 Paschukanis’ Beschreibung der historischen Genese bis zur "Wareneigenschaft" der Produkte und zum "juristischen Subjekt als Träger von Rechten" klingt schlüssig. Auch seine wissenschaftstheoretische Position gegen den normlogischen Positivismus in der Rechtswissenschaft, der sich nur für die Norm, die gilt, interessiert, aber nicht für ihren Geltungsgrund (nicht zu verwechseln mit der Frage der Gültigkeit), das soziale Verhältnis gegenüber dem gedachten bzw. normierten als primär zu untersuchen, ist überzeugend. Zweifelhaft ist hingegen die völlige Analogisierung von Warenform und Rechtsform. Insofern mag die gesellschaftlich gültige Zuschreibung der Eigenschaft, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, auf die Rechtsform zutreffen, weil sie den Austausch abstrakter Arbeitsquanta mitkonstituiert. Die Zuschreibung zur Ware, Träger von Wert zu sein, läßt sich jedoch parallel eben nicht im Sinne einer subjektiven Wertlehre als gesellschaftliche gültige diskursive Zuschreibung verstehen. Auch daher irrt Paschukanis mit seiner Analogisierung. Die eigentliche Problematik der Paschukanis’schen Rechtskritik liegt jedoch in seiner Soziologisierung marxistischer Kritik bzw. der Fortführung bereits bestehender Soziologismen. Denn obwohl Paschukanis eine für seine Zeit noch recht eingehende Marx-Lektüre, insbesondere des Fetisch-Kapitels aufweist, soziologisiert seine Kritik im doppelten Sinne. Er verfällt erstens immer wieder in die Entitäten der Interessensubjekte und Großsubjekte. Zweitens, indem er nicht genau zwischen dem ‘gesellschaftlichen Verhältnis’ des Kapitals, sozialen Verhältnissen und dem Rechtsverhältnis als Konstruktion und Abstraktion der Rechtstheorie unterscheidet, unterschlägt er schließlich den normativen Charakter des Rechts, seinen Sollensmodus.

11 Alfred Sohn-Rethel, a.a.O., S. 73 ff; 111 VIII