I.
Kyoko date ist ein großer japanischer Star. Sie veröffentlicht Singles
und eine Biographie. Das heißt, daß wir über ihr Leben, ihre
Vorlieben mehr wissen, als wir jemals wissen wollten. Kein Geheimnis umgibt
sie, sie hat keine Allüren, keine Vergangenheit. Für etliche heranreifende
japanische Jungmänner ist sie ein ganz normales Traummädchen, "wie
es sie in Japan nicht mehr gibt", das sie am liebsten zur Liebsten im trauten
Heim hätten, fast zu normal, um Star für mehr als eine Oberstufe zu
sein. Kyoko date wird auch nie irgend jemandem ein Problem machen, das er/sie
nicht haben will. Sie ist der erste virtuelle Star, the virtual idol. Sie wurde
als solches konzipiert und umgesetzt. Rein computergeneriert funkt sie mittlerweile
erstaunlich viel im japanischen Alltag herum und ist inzwischen auch in Europa
angekommen.
Sie scheint ein Wiederaufguß der Männerträume der frühen
Romantik zu sein: die reibungslos funktionierende Frau, nicht rebellisch, ohne
eigene Meinung und immer da, wo man sie haben will. Keine strahlende Schönheit,
aber auch nicht nichtssagend. Sie verkörpert' die gute Seite der
Weiblichkeit.
Sie sagt, nach ihren Vorbildern befragt, daß sie keine habe, denn sie
selbst sei eine neue Kategorie: virtual idol eben. Wenn sie spricht, wird die
Stimme von einer namenlosen, unbekannten Schauspielerin geliehen, ihre Texte,
ihre Biographie, ihre homepage und ihr Gesicht und Körper werden von Hori
Productions erstellt. Aber als was erscheint kyoko date? Ist sie lediglich Ausdruck
einer raffinierten Firmenstrategie, ein neues Angebot der Warenwelt? Einfach
nur 40.000 Polygone? Auf den Punkt gebrachte kumulierte Weiblichkeit?
Sie ist auf jeden Fall deutlich Zeichen für Männerphantasien oder
für den Stand der Entwicklung des Warenfetischs oder für beides. Selbst
eine geborgte Stimme hilft ihr nicht aus ihrer Zweidimensionalität heraus,
die immer nur Bild bleiben kann. Und dieses Bild kann nicht vorgeben, Bild von
etwas zu sein, sondern ist einfach immer nur Bild. Hinter dem Bild ist keine
Realität, die abgebildet wird, hinter der Kopie ist kein Original. Sie
ist ein Star, sie erfüllt die Funktionen eines Stars, und genau wie bei
den Stars dieses Jahrhunderts steht immer nur das Bild für die Projektionen
zur Verfügung, aber zu diesem Bild gibt es keinen materiellen Träger
mehr. Und auch insofern ist sie reine Weiblichkeit.
II.
Die patriarchale Struktur des Begehrens organisiert sich über den Herrensignifikanten
Phallus, der dadurch Herrensignifikant ist, daß sich alle Verhältnisse
über ihn herstellen. Insofern funktioniert seine Logik ähnlich wie
die Logik des Geldes, er ist Währung und Normmaß einer Begehrensökonomie.
In dieser Begehrensökonomie konstituiert sich Geschlecht über den
Signifikanten Phallus. Die männliche Position hat den Phallus, die weibliche
ist der Phallus. Die Bedeutung der Weiblichkeit in diesem Verhältnis ist
eine zweifache: Dadurch, daß sie den Phallus nicht hat, repräsentiert
sie den Mangel der bürgerlichen Subjektkonstitution, sie ist nicht autonom,
einzeln und unverwechselbar und verweist darauf, daß das Subjekt dies
noch nie war. Als Repräsentantin dieses Mangels ist Weiblichkeit für
das männliche Subjekt bedrohlich. Zugleich bietet sie aber auch erst die
Möglichkeit, den Phallus zu haben, verspricht sie, den Mangel zu beheben:
Frauen, alle Frauen in einer Frau zu begehren, sie zu haben, heißt den
Phallus zu begehren, zu haben. Sie ist zugleich Objekt des Begehrens und repräsentiert
das Begehren selbst. Sie spiegelt die Macht, die es bedeutet, den Phallus zu
haben, sie verkörpert' den Phallus, dadurch, daß sie sein Mangel
ist, sein Anderes, und so dialektisch seine Identität bestätigt. Die
Weiblichkeit ist der Ort, an dem die männliche Subjektkonstitution stattfindet.
So ist das männliche Begehren auf das Weibliche gerichtet, auf seinen Spiegel,
der seinen Mangel verdeckt.
Der Subjektkonstitution, die in den phantasmatischen Beziehungen von Sein und
Haben zum Phallus stattfindet, liegt eine Verdrängung zugrunde: Die Verdrängung
der Abhängigkeit vom Anderen, die Verdrängung, daß das Subjekt
nicht sich selbst setzend ist, sondern sich nur im Verhältnis zum Anderen
bilden und erhalten kann, daß es einzeln nur in der Vermittlung bestehen
kann. In der Konstituierung wird dieser Mangel erzeugt und verschleiert, und
genau diese Verdrängung begründet das endlose Begehren des bürgerlichen
Subjekts. Daß Männer den Phallus haben, ist realer Schein, Effekt
der phantasmatischen Beziehung auf den Phallus, dieses ,reale' Fehlen des Phallus
(Fehlen von Macht) wird in der Spiegelung im Anderen verdrängt, und der
Andere wird als Phallus gesetzt, um Spiegel sein zu können.
Mit der Maskerade, der Attribuierung mit Weiblichkeit, wird der Anschein erzeugt,
der Phallus zu sein. Das Fehlen des Phallus wird kaschiert, um die Bedrohlichkeit,
die dieses Fehlen birgt, zurückzunehmen.
Hingegen ist die Fetischisierung des weiblichen Körpers der Versuch, die
Erkenntnis des Mangels zurückzudrängen, den Mangel zu tarnen. Über
die Fetischisierung bekommt der Körper Einheitlichkeit, Ganzheit und verweist
nicht länger auf den grundsätzlichen Mangel der bürgerlichen
Subjektkonstitution, er wird zum Produkt; Produkt von reiner Schönheit
und Objekt der Schaulust, und ist dadurch seiner Bedrohung beraubt. Beide Mechanismen
- Maskerade und Fetischisierung - sollen den Mangel tarnen, beide arbeiten mit
den Metaphern von Schleiern, Verkleidungen, phallischen Ersetzungen.
In den meisten feministischen Konzeptionen der Maskerade geht es um eine Destabilisierung
einer phallozentrischen Psychoanalyse, die eine essentielle, durch Kastrationskomplexe
gefesselte Weiblichkeit unterstellt. Und aus dieser weist die Maskeradetheorie
vielleicht tatsächlich einen Ausweg. Zugleich ist die Maskerade aber vor
allem eine resignierte Haltung, die, wenn sie auch nicht auf einer originären
Weiblichkeit beharrt, doch den Versuch, aus dieser Position in der Ökonomie
auszubrechen, aufgegeben hat. Bestimmt ist die Maskerade aber Teil der ewigen
Wiederholung der geschlechtlichen Subjektkonstitution, der dauernden Darstellung
von Sein und Haben.
Wenn die Maskerade aber offensichtlich wird, wenn niemand an echte Weiblichkeit
mehr glauben mag oder kann, dann kann sie entschleiernd wirken, dann kann sie
es möglich machen, zu erkennen, daß Weiblichkeit schon immer ohne
Essenz war, daß ein Dahinter nie existiert hat, daß die Kopie schon
immer ohne Original war.
III.
Judith Butler hat deutlich gemacht, wie sehr der Vorgang der Subjektbildung
in materielle gesellschaftliche Zwänge eingebettet ist. Subjektkonstitution
und Geschlecht auf der Ebene phantasmatischer Beziehungen innerhalb einer Begehrensökonomie
oder einer symbolischen Ordnung zu verorten, scheint keinerlei Anbindung an
empirische Subjekte zu haben. Um statthaben zu können, müssen diese
Subjekte aber ihre Konstitution immer wiederholen, diese Wiederholung findet
innerhalb bestimmter gesellschaftlicher Normen statt: Heterosexualität,
Inzesttabu u.ä. Diese Vorgänge unterliegen nicht dem Subjekt, weil
sich dieses erst in ihnen bildet, nur im Rahmen einer stabilen Matrix gesellschaftlicher
Zwänge können sie stattfinden.
Da, wo Judith Butler diese Notwendigkeit der Zwänge für die Subjektkonstitution
mit der Annahme der performativen Wiederholung dieses Vorgangs verbindet, ist
sie oft - zumal in Deutschland - so gelesen worden, als sei für sie die
drag queen oder der Rollentausch à la Viktor und Viktoria der sichere
Weg zu Emanzipation aus dem Geschlechterdrama.
Die Annahme, daß sich geschlechtliche Subjektivität performativ in
einer prozeßhaften Wiederholung erstellen muß, eröffnet aber
auch die Möglichkeit, gesellschaftliche Hegemonien zu erkennen und in Frage
zu stellen. Die Hegemonien, deren Verbote und Anweisungen Voraussetzung der
Zwänge sind, in denen sich die Konstituierung von (geschlechtlicher) Identität
bewegt. Und deshalb geht es nicht um die Travestie-Show, die harmlose Parodie,
die allen den Ausweg, die Abwehr des BeFremden über das Gelächter
der Konsumierenden läßt, sondern um eine humorlose Parodie, eine
Parodie ohne Lachen. Die Nachahmung soll den Begriff des Originals verspotten,
nicht der Versuch sein, dem Original nahe zu kommen. Eine Parodie ohne Humor:
die Pastiche. Sie kann die moderne Ideologie der Individualität enttarnen.
Die Pastiche, die auf keine Normalität außerhalb ihrer selbst verweist.
Sie, genauer ihre Durchsetzung gegenüber der Parodie, die sich noch auf
ein Original bezieht, ist Ausdruck einer Gesellschaft, deren Fetischismus mittlerweile
soweit geht, daß das Bild nicht mehr Abbild sein muß. Dadurch ist
sie - die Pastiche - aber auch ein Moment, das darauf verweist, was Authentizität
und Individualität, Ursprung und Einzigartigkeit wohl immer schon waren:
Ideologien der bürgerlichen Gesellschaft.
Die Wirkung der Pastiche als Praxis sollte aber nicht überschätzt
werden, der Rahmen, in dem sie sich als alltägliche Praxis bewegen kann,
ist eng. Aber es geht darum, herauszufinden, welche Formen störend sind
und warum.
Ist kyoko date störend? Wenn ja, wen könnte sie stören (außer
diejenigen, die den Verlust der Menschlichkeit durch das Vorhandensein virtueller
Stars bestätigt sehen und beklagen)? Und was könnte sie stören?
IV.
Kyoko date ist ein Star. Es gibt Fanclubs, die auf homepages alle zugänglichen
Informationen bereitstellen, Bilder durchs Internet schicken und sie einfach
toll finden.
Im Star ist die Fetischisierung des weiblichen Körpers in Reinform zu beobachten.
Auf den Körper findet im Normalfall kein Zugriff statt, das Begehren ist
skopophil nur auf das Abbild gerichtet. Der Star bestätigt den Phallus
schon durch sein pures Vorhandensein. Und durch seine Anwesenheit im Leben des
Fans tritt er real an die Stelle des Mangels, ist dauernder Spiegel für
die Subjektkonstitution. Bisher gab es zum Star immer noch einen materiellen
Träger, über den die Fans dann spekulieren können. "Diana
war wundervoll, ich wünschte, ich hätte sie kennengelernt." Bei
kyoko date fällt dieser materielle Träger weg. Kein Fan und alle Fans
können sie treffen. Marlene Dietrich - von der Sternberg auch schon sagte:
,Ich habe sie gemacht' - stand noch tatsächlich auf der Bühne und
hat sich nachher mit den Soldaten unterhalten, die sie zwar wegen ihrer Beine
sehen wollten, es dann aber vor allem schön fanden, mal wieder mit einer
Frau zu sprechen. Kyoko date kann dieses Versprechen der Begegnung nie einlösen.
Sie ist nur noch sorgfältig aufgebautes Image.
Die verdinglichten Beziehungen, die zu einem Star aufgebaut werden, der Frauenkörper
als Ware, der phantasmatische Charakter des Gebrauchswerts, der an einem virtual
idol deutlich als imaginäre Beziehung zur Ware zu erkennen ist: An kyoko
date scheinen die Fetischisierung des weiblichen Körpers und der Warenfetisch
bruchlos in eins zu fallen.
Hier kumuliert die Analogie von Waren und Frauen, Warentausch und Frauentausch.
So wie die tauschenden Subjekte über die Waren zueinander in Beziehung
treten und dadurch erst deren Wertgegenständlichkeit vollziehen, so sind
Frauen dadurch, daß sie der Phallus sind/als der Phallus erscheinen, die
Vermittlung zwischen den Männern; die Instanz, über die Beziehungen
erstellt werden, zu der aber keine Beziehung aufgenommen wird außer der
imaginären, über ihre Verheißung in den Besitz des Phallus zu
gelangen. Diese Beziehung strukturiert dann aber (hinter ihren Rücken)
alle anderen Beziehungen, die die Männer unter sich erstellen, immer sich
als Phallus-Habende einander spiegelnd. So wie jede Frau verheißt, die
Frau zu sein, die letzte in der Kette der Frauen - ein Versprechen, das nie
eingelöst wird, so verspricht jede Ware, die letzte Ware zu sein, die das
Begehren erfüllt.
Subjekte konstituieren sich über den Spiegel, spiegeln sich in ihresgleichen.
Im Spiegel kann sich das Subjekt als ganzes, einheitliches wahrnehmen. Das Gefühl
des fragmentierten, zerbrechlichen, abhängigen Selbst wird nicht gespiegelt,
gespiegelt wird nur das sich selbst setzende allmächtige Subjekt. In dieser
Spiegelung entsteht immer wieder das Ideal-Ich, das Andere, auf das das ganze
Begehren des Subjekts gerichtet ist. Treten die Arbeitsprodukte im Tausch über
das Geld zueinander in Beziehung, spiegeln sie sich in der Geldware nicht als
Gegenstände, sie verdoppeln sich nicht in sich und ihr Selbst, sie spiegeln
sich nur ihren Warencharakter.
Genauso kann sich die Frau nicht in ihresgleichen spiegeln, sie spiegelt sich
nur als Spiegel der männlichen Subjektkonstitution. Frauen können
nicht Subjekte des Tausches in der Begehrensökonomie sein, sie sind Waren,
und weil sie Waren sind, können sie nicht Subjekte des Tausches sein.
So wie der Wert "jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe"
(MEW 23, S. 88) verwandelt, verwandelt der Phallus jede Frau in ein Zeichen
in der Begehrensökonomie.
Wenn die Abbildung des weiblichen Körpers als Ware auftritt, dann spiegelt
sie nicht nur den Frauen die Warenförmigkeit ihres ,Selbst', sondern auch
den männlichen Tauschsubjekten ihre Subjekthaftigkeit und ihre Männlichkeit.
Sie ist der perfekte Spiegel wertförmig patriarchal verfaßter Subjektivität.
V.
Auf den ersten Blick scheinen sich das feministische Konzept der Maskerade,
das die Vorstellung einer eigentlichen Weiblichkeit destabilisieren will, und
der Fetischisierung, wie sie in der Ware Frauenkörper zum Ausdruck kommt,
stark entgegenzustehen. Beide versuchen jedoch, mit Hilfe der Attribuierung
mit Weiblichkeit eine Leere, ein Fehlen zu verschleiern und bei beiden ist dieser
Verschleierungsvorgang zugleich Konstituierung.
Wie die Maskerade versucht, den Mangel an vorhandener Weiblichkeit zu maskieren,
und darüber eben genau Weiblichkeit erst herstellt, so verschleiert die
Fetischisierung des weiblichen Körpers das Fehlen des Phallus, und diese
Konstituierung von Weiblichkeit schafft den benötigten Spiegel, der der
Männlichkeit ihren Phallus bestätigt.
Und insofern ist Weiblichkeit, bzw. ihr Bild, Kumulationspunkt patriarchaler
kapitalistischer Gesellschaft.
Kyoko date ist die avancierteste Form warenförmiger Abbildungen von Weiblichkeit.
Sie ist körperlos, sie bildet nicht ab, sie ist nur Bild reiner Weiblichkeit,
sie ist explizite Ware.
Damit ist sie nicht emanzipatorisch oder subversiv. Sie bringt jedoch einen
Stand der Verknüpfung von Weiblichkeit und Wertvergesellschaftung auf den
Punkt. Sie ist explizite Maskerade ohne Original, Pastiche, die enttarnt: Eine
Enttarnung ohne Kritik, die jedoch Voraussetzung jeder weiteren Kritik ist.
j. j.
Literatur:
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, FfM. 1990.
Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts,
Berlin 1995.
Irigaray, Luce: Das Geschlecht, das nicht eins ist, Berlin 1977.
Lacan, Jacques: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion. In: Schriften
1, Olten 1973, S. 61-71.
Lacan, Jacques: Die Bedeutung des Phallus. In: Schriften 2, Olten 1975, S. 119-
132.
Riviere, Joan: Weiblichkeit als Maskerade (1929). In: Weissberg, Liliane (Hg.):
Weiblichkeit als Maskerade, FfM 1994, S. 34-47.
Als leichter erster Einstieg in Lacan:
Bowie, Malcolm: Lacan, Göttingen 1994.
Weber, Samuel: Rückkehr zu Freud. Jacques Lacans Entstellung der Psychoanalyse,
FfM, Berlin, Wien 1987.