Don't cry!
über
schein
und
maskerade
im
musicalfilm
evita

eyes hair mouth figure dress voice style

Ein Jahr lang wurden wir in der Presse mit großer Regelmäßgkeit über den Musical-Film Evita auf dem laufenden gehalten.

Wenn in den letzten Jahren ein Film schon Wochen oder Monate vor dem Kinostart lang und breit in der Presse besprochen wurde, lag es meist an den neu genutzten Techniken des Films: Viele Katastrophen - von Dinosauriern bis zu Wirbelstürmen und, zur Zeit bevorzugt, Angriffen aus dem All -, mehr Computeranimation, noch mehr Wahnsinn! Narration und die menschlichen ProtagonistInnen oder deren Nachbildungen (von C3PO und R2D2 bis Terminator) rücken immer weiter in den Hintergrund.

Evita nutzt keine neuen Techniken, im Gegenteil: Es fehlte gerade noch, daß sie das Musical von einer Bühne abgefilmt hätten. Schnitt und Perspektive wurden ein bißchen der VideoclipÄsthetik der Neunziger angepaßt, ansonsten übernimmt der Film wort- und tongetreu die Vorlage des Webber-Rice-Musicals; die TechnoVersion von Don't cry for me... ist nur im Radio zu hören.

Publikumsunfreundlich wird die ganze Zeit gesungen, und eigentlich passiert auch nicht viel, kaum Morde, kaum Sex und kein HappyEnd. Identifikation im Kino ist eine doppelte, nicht nur die mit den ProtagonistInnen, sondern auch die mit der Kamera, die den Apparat negiert; über die die Zuschauenden in die Position eines ganzen, allmächtigen, autonomen Subjekts eingesetzt werden; in der die Zuschauenden vergessen, daß sie lediglich technisch produzierte und projizierte Bilder sehen. Dieser Realitätseindruck, der im Kino erzeugt wird, unterliegt einer historischen Veränderung. Ein Musical konnte einen Realitätseindruck vielleicht noch in den 50er Jahren erzeugen, aber in den 90ern bestimmt nicht mehr.

Bei Evita funktionieren beide Identifikationen schlecht. Der Apparat kann nicht vergessen werden, wenn die DarstellerInnen ihr Liebes- und LebensLeid in die Kamera singen. Und die Figur Evita ist so leer und inkohärent, daß sie es nicht leisten kann, Projektionsfläche für eine einheitliche Subjektform zu sein. Evita konnte kein Kassenhit werden, weil er nicht leisten kann, was Kino leisten muß: eine ideologische Rückerstattung an das dezentrierte Subjekt der Moderne, in der die Alltagserfahrung der Fragmentierung vorübergehend aufgehoben wird und sich das Subjekt als einheitliches imaginieren kann.

Evita hatte als Publikumsfilm so eigentlich von Anfang an keine Chance und als Cats-Ersatz für Leute, die nicht mit dem GruppenreiseBus nach Hamburg fahren wollen, ist Kino nicht tauglich. Trotzdem hat das Feuilleton den Film konsequent als Sensation lanciert. Denn Evita scheint Authentizität da zurückzuerstatten, wo Madonna sie verwirrt(e).

I'm their product

It's better you sell me

so machiavell me

make an argentine rose

In Evita wird eine bewährte Technik des Verkaufens verdoppelt: das Spiel mit Differenz und Identität von DarstellerIn und Dargestelltem; das Spiel mit der Maskerade. Der Eindruck der Realität wird nicht über die Kameraführung oder die Darstellung scheinbar realer Situationen erzeugt, sondern über die Unsicherheit, was denn nun Spiel ist und was ,echt'.

Evita, die Schauspielerin, hört auch als First Lady nicht auf zu spielen - oder doch? Darüber, ob sie die Retterin, Helferin, Politikerin, die sie zu sein scheint, wirklich ist, oder ob sie nur eine weitere Rolle spielt, wird das Kinopublikum genauso wie die argentinische Bevölkerung im Unklaren gelassen. Madonna, die personifizierte Ikone des Rollenspiel, stellt nun eine ebensolche dar und verspricht damit zugleich paradoxerweise eine neue Authentizität des Darstellens.

Dieses Spiel mit dem Schein ist Thema des Films. Dadurch, daß die Darstellerin dieses Spiels zugleich auch außerhalb des Films genau dieses Spiel verkörpert, wird der Schein echt.

Madonna überzeugt seit Jahren mit einem ständigen Rollenspiel, einem ständigen Wechsel der Masken und ist so die performative Realität zu der Annahme, daß Weiblichkeit Maskerade und hinter der Maske nichts ist. Seit Like a Virgin, als sie gleichzeitig Jungfrau und Hure war, gibt es alle halbe Jahr eine neue Madonna-Rolle - von ihr genauso wie von ihrem Publikum kreiert -: androgyn, Monroe-Remake, dunkel, blond, Ketzerin, Pornokönigin und nun zuletzt Mutter. Und auch Evita war eine Rolle, bei der sie die Grenze von Dargestellter und Darstellerin nicht aufrechterhalten hat. Im Gegenteil, in der ihr eigenen Subtilität verwischt sie das, und so schreibt sie in ihrem während der Dreharbeiten für die Zeitschrift Vanity Fair geschriebenen Tagebuch, wie sie zu Evita wurde: "Letzte Nacht träumte ich von Evita: Nicht daß ich draußen war und ihr zusah. Ich war Evita.

Dem Mythos zufolge hat Madonna einen acht Seiten langen Brief an Alan Parker geschrieben, in dem sie erläuterte, warum sie und nur sie diese Rolle spielen müßte; der Produzent hingegen behauptet - nach der Absage von Michelle Pfeiffer - Madonna sei schon immer seine erste Wahl gewesen. Und so ist das Paradox bewältigt: Madonna ist die Idealbesetzung - und sie hat sich die Rolle hart erkämpfen müssen. Das ist die erste der Parallelen zwischen Evita und Madonna, die - von Madonna zuerst - immer wieder herausgestellt wurden: Beide kamen aus der Provinz mit dem Willen, ein Star zu werden, und sie wurden es. Von FeindInnen als Huren beschimpft, wissen beide angeblich genau, was sie wollen und kommen zielstrebig nach oben. Beide können offensichtlich nur bewundert oder verachtet, verehrt oder gehaßt werden.

Die Ambivalenz der Figur Madonna findet sich wieder in der Ambivalenz der Figur Evita, die Thema des Films ist. Mit dieser Ambivalenz ist schwer umzugehen, und man kann sich ihr kaum entziehen: im Feuilleton ist sie einerseits Diktatorin oder doch zumindest Diktatorfrau, wahlweise (Links-) Faschistin, andererseits Idol und Helferin der Armen, die Frauenwahlrecht und die Frauenquote in der Partei durchgesetzt hat.

No, Evita Peron had every disadvantage

you need if you gonna succeed:

no money, no cash,

no father, no bright light,

there's nowhere she's been

at the age of fifteen

Evita steigt aus dem Nichts über viele Männerbetten zum Radio- und FernsehStar auf. Ihre darauf folgende Rolle als First Lady und Retterin der Armen (ihren descamisados) füllt sie perfekt aus:

I came from the people / they need to adore me / so Christian Dior me / I'm their product / It's better you sell me / so machiavell

me

singt sie, während sie mit DesignerKleidung ausgestattet wird. Und in dieser Kostümierung küßt sie die Armen und verteilt Brot und Geldscheine. They need their escape and so do I.

Che, der als kommentierender Jedermann durch den gesamten Film läuft, der die Stimme der notleidenden Bevölkerung sein soll, ohne daß das 'Volk' jemals seiner Meinung wäre, charakterisiert Evita und ihr Verhältnis zur Bevölkerung nach der Bekanntgabe ihres Todes:

But who is this Santa Evita?/.../ She had some style/ Best show in town was the crowd outside the casa rosada/ crying Eva Peron/ But that's all gone now/.../ we're all gonna see - and how:/ she did nothing for years/ Showbusiness kept us all alive

Evita ist eine Figur, deren Starqualitäten immer wieder hervorgehoben werden. Im Film wird laufend suggeriert, daß sie nicht das ist, was sie zu sein vorgibt, um dann zu verdeutlichen, daß sie das, was aber dann dahinter wäre, auch nicht ist. Karrieregeil und Retterin des 'Volkes', naiv und gleichzeitig genau die Macht des Showbusiness verstehend und das Bedürfnis, auf der sie beruht.

Den ganzen Film über bleibt unklar, ob sie berechnend nur einfach ganz oben sein will oder ob sie helfen will und 'es ehrlich meint'.

I don't care what the bourgeoisie says

I'm not in business for them,

but to give my descamisados

a magical moment or two

Evita ist leer, so leer, daß alle in ihr sehen können, was sie wollen. Und deswegen kann sie sowohl Heilige, wie auch Hure, Retterin und Verräterin sein.

Und genau davon scheint Begeisterung oder Empörung der RezensentInnen und RezipientInnen abhängig zu sein. Die dem Mythos der Santa Evita glauben - und es kann scheinbar nur um glauben oder nicht glauben gehen -, die finden die Besetzung mit Madonna eine Unverschämtheit: Wie kann die Hure Madonna die Heilige Evita spielen? Durch die Idealbesetzung Madonna stand schon vor dem ersten take fest, daß die Leere der Figur Evita nicht gefüllt werden würde. Im Gegenteil, Madonna als die materiell gewordene Verkörperung von Schein und Darstellung verdeutlicht das Scheinhafte der Evita selbst.

Madonna, die jahrelang das bürgerliche Publikum und die bürgerliche Presse damit genarrt hat, vorzuführen, daß hinter der Maske nichts ist außer weiteren Masken und Maskeraden, die beliebig benutzt werden; Madonna, die alle damit in Aufregung versetzt hat, daß sie Authentizität verweigert, scheint jetzt zum wiederholten Male zu versprechen, doch endlich ihr wahres Gesicht zu zeigen. Schon ihre Mutter-Tournee durch US-amerikanische Talkshows, bei der sie von den Freuden des Mutterwerdens und Mutterseins erzählte, rief Schlagzeilen hervor wie "Madonna wird endlich erwachsen" und beruhigte so vorübergehend die Gemüter mit der Annahme, daß alles vorher nur ein ausgedehnter pubertärer Irrweg gewesen sei. Über die ständig wiederholte Analogisierung von Madonnas und Evitas Leben wurde wieder mal versprochen: Madonna spielt sich selbst, endlich die authentische Madonna auf der Leinwand. Madonna ist Evita und Evita hätte auch Madonna sein können oder besser: Madonna scheint Evita zu sein und Evita ist Madonna geworden.

Wir bekommen wieder einmal vorgeführt, wie wenig die Narration des Films und der Apparat miteinander zu tun haben, und daß die Darstellung, insbesondere die stilisierte Darstellung des Musicals, kein Dahinter braucht, und daß mit dem Schein allemal die bessere Show zu machen ist. j.j.