ImMaterial 1.0: Automatische Moderne

wir sind die Roboter

Die Selbsterkenntnis der Kraftwerkjungs ist beispielhaft. Aber: "Ihr seid auch die Roboter" wäre der nächste Schritt gewesen; dazu waren die Maschinenmusiker aber zu zurückhaltend, das hätte nicht ihrem Stil entsprochen. Mit seiner Behauptung, "the conclusion that man is not a machine is invalid", hatte der britische Mathematiker Emil Post diese Einsicht eh' schon in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts formuliert. Wie kommen die electronic-listening-Vorreiter, wie kommen Mathematiker zu solch anmaßenden, verallgemeinernden, das gesunde Selbstbewußtsein des autonomen Subjekts beleidigenden Äußerungen?

Intuitionismus und Formalismus

Anfang dieses Jahrhunderts entbrannte ein Streit in der Mathematik über ihre Beziehung zum Rest der Welt. Was ist Mathematik und worauf gründet sie sich, wie sieht ihr Wahrheitskriterium aus und welches ist ihr Gegenstand? In diesem Streit stand im Wesentlichen eine empiristische oder intuitionistische Position einer formalistischen gegenüber. Die Position des Empirismus oder Intuitionismus ging davon aus, daß es außermathematische Quellen der Inspiration gebe, auf die sich z.B. die Euklidische Geometrie stütze. Aus intuitionistischer Sicht sind die mathematischen Gegenstände weder präexistent und brauchen bloß noch entdeckt zu werden, wie es der Platonismus unterstellt, noch ist formale Widerspruchsfreiheit Kriterium für mathematische Existenz. Existent ist das, was in Beziehung mit dem Lebendigen steht.

Die Position des Formalismus wurde vor allem von David Hilbert vertreten. Sein Entwurf der Mathematik sah einen rein formalen Aufbau vor: Sie sollte auf wenigen Sätzen, den Axiomen, aufbauen und sich vollständig aus diesen herleiten lassen. Innere Widerspruchsfreiheit und Eindeutigkeit sind ihre wesentlichen Kriterien. Diese Kriterien ersetzen das traditionelle Wahrheitskriterium, also die empirische Überprüfbarkeit an realen Gegenständen bzw. die mathematische Intuition als Überprüfungsmaßstab. Im mathematischen Formalismus gibt es keine Bezüge mehr zu außermathematischen Dingen. (Fortsetzung S. 28)

Hilberts Programm

Der Streit um den Formalismus in der Mathematik ist Geschichte. Spätestens in den 30er Jahren hatte sich Hilberts Auffassung durchgesetzt, obwohl sein Beweisprogramm keinesfalls abgeschlossen war. Hilberts Ziel war es, die Mathematik so zu formulieren, daß sie die Kriterien Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit und Entscheidbarkeit erfüllte. Das bedeutet erstens, daß immanent die Widerspruchsfreiheit des mathematischen Gebäudes (keine zwei sich ausschließenden Aussagen können hergeleitet werden) in endlich vielen Schritten nachgewiesen werden muß (Widerspruchsfreiheit). Zweitens, daß es keine mathematischen Phänomene gibt, die sich der Beschreibung durch den Formalismus entziehen (Vollständigkeit). Und drittens, daß die Entscheidbarkeit über die Existenz (oder Wahrheit im oben beschriebenen Sinne) oder Nichtexistenz eines Satzes in endlich vielen Schritten möglich sein sollte (Entscheidbarkeit). Anders ausgedrückt: Gibt es ein effektives Verfahren, einen Algorithmus, mit dem man für jede beliebige Formel in endlich vielen Schritten entscheiden kann, ob sie ableitbar ist oder nicht?

1931 zeigte Kurt Gödel, daß zumindest aus dem zweiten Punkt in Hilberts Programm nichts werden würde. Er wies nach, daß in jedem formalen System, das widerspruchsfrei sein soll, Aussagen existieren, die innerhalb des Systems nicht begründet werden können. Das bedeutet, daß formale Beweisbarkeit ein schwächeres Kriterium ist als Wahrheit.

Das Entscheidungsproblem

1936 bewies der englische Mathematiker Alan M. Turing, daß es kein allgemeines Verfahren für die Entscheidbarkeit im Hilbertschen Sinne gibt - damit fiel auch der dritte Punkt in Hilberts Programm. In seinem berühmt gewordenen Beweis behauptet Turing zunächst, daß die Berechenbarkeit beispielsweise einer Zahl identisch sei mit der Aussage, daß eine geeeignete Maschine in der Lage ist, sie niederzuschreiben: Wenn eine Mathematikerin einen Beweis führt, schreibt und löscht sie Zeichen nach einem vorgegebenem Katalog von Regeln, sie wendet formale (for male?) Regeln auf semantische Kombinationen von mathematischen Zeichen an. Sie handelt mechanisch. Was bei Hilbert "Verfahren" (zum Beweis der Entscheidbarkeit) genannt wurde, hat Turing umdefiniert in "berechenbar durch eine Maschine". Turings Formulierung des Entscheidungsproblems lautet: "Gibt es eine Maschine, die für jede x-beliebige Maschine (eingeschlossen sie selbst) entscheiden kann, ob sie zu einem Ergebnis gelangt oder nicht?"

Wie sieht Turings Maschine aus? Zunächst mal ist sie eine theoretische Maschine, die einen Algorithmus verkörpert, d.h. sie ist technischen Realisierungen gegenüber indifferent. Das Verhalten der Maschine ist auf einige wenige Operationen beschränkt: Einlesen von Zeichen, Zeichen löschen bzw. überschreiben, Bewegung nach rechts, Bewegung nach links, Anhalten.

Turings Maschine

Turing hat nun mit dieser theoretischen Maschine gezeigt, daß das Halteproblem, also die Frage, ob eine Turingmaschine über eine andere Turingmaschine aussagen kann, ob sie bei der Berechnung bestimmter Probleme jemals anhalten wird oder nicht, nicht lösbar ist - es also keine solche Maschine geben kann. Damit ist auch die Frage Hilberts nach der Existenz eines allgemeinen Entscheidungsverfahrens negativ beantwortet: Es ist nachweisbar unmöglich, einen Entscheidungsalgorithmus dafür anzugeben, ob eine beliebige Formel beweisbar ist oder nicht.

Turings Beweis hat Berühmtheit erlangt weit über die Mathematik hinaus. Das liegt nicht so sehr an seinem Beweis selbst, sondern an der Voraussetzung, die er zunächst bewies: Jede Operation im Rahmen eines formalen Systems ist auf einer Maschine simulierbar. Formalisierung und Mechanisierung sind nach Turing bedeutungsäquivalente Begriffe. Mathematik wird als maschinelle, automatisierte Symbolverarbeitung angesehen, nicht mehr als Kunst oder Handwerk: "Any function which can be calculated by a human can be computed by a Turing machine" (Turingthese).

Turingdenken

Formalisierung, regelgeleitetes Handeln oder das Befolgen abstrakter Regeln sind Schlagwörter, die eher aus einem anderen Zusammenhang bekannt sind. Die Klassiker der Soziologie beschreiben den Modernisierungsprozeß in der bürgerlichen Gesellschaft, die Herausbildung moderner Warensubjektivität, mit diesen Begriffen. Die Herausbildung einer rationalen, abstrakten Denkweise, die Trennung zwischen objektiver und subjektiver Rationalität, Gleichbehandlung ohne Ansehen der Person oder des Standes sind Charakteristika der Moderne überhaupt. Rationalisierung und Differenzierung, Entpersonalisierung sozialer Beziehungen, Zweck-Mittel-Kalkül, Tendenz zu Abstraktion und Quantifizierung, Formalisierung von Handlungen, Wunsch nach Berechenbarkeit und Kontrolle - Hilberts Programm wurde in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens durchgeführt.

"Turingdenken", regelgeleitetes, logisches, von Vorbedingungen in genau bestimmter Weise abhängiges Schließen, das ist die von Max Weber für die Moderne als charakteristisch angesehene Denkweise! Die Fähigkeit des Bürokraten, abstrakten Regeln zu folgen, die roboterhafte Tätigkeit des Richters (Max Weber) ist Idealbild des "Prozesses (Franz Kafka) der Zivilisation" (Norbert Elias).

Turing und Taylor

Nicht nur in der Soziologie waren Formalisierung und Mechanisierung gängige Schlagworte. In den fordistischen 30er Jahren beherrschten diese Vokabeln den Diskurs der Herren der Produktion. Frederick W. Taylor hatte die Funktion des Fabrikarbeiters in Einzeloperationen zerlegt, ihn einer ins Detail gehenden mechanischen Disziplin unterworfen, alles Überflüssige und Unvorhersehbare getilgt und ihn damit der Maschine gleichgemacht. Diese detaillierte Arbeitsteilung bis hin zur Zergliederung der Arbeitsabläufe ähnelt der Sequenzialisierung der Algorithmen in Turings Maschine. Bei Henry Ford wird dann die ganze Fabrik zu einer Maschinerie, eingeschlossen die Fordarbeiter. 1936 ist das Jahr in dem "Moderne Zeiten" von Charles Chaplin in die Kinos kommt. Fords Fleiß(!)band, Taylors Mechanisierung des Arbeiterkörpers, die REFA etc. setzten Turings These der Identität von regelhaftem und mechanischem Handeln ein weltumspannendes Denkmal. Für den Bereich der kapitalistischen Industrieproduktion liefern sie den Beweis für die Austauschbarkeit menschlichen formalen Handelns durch maschinelles formales Handeln.

Dem Mathematiker Emil Post war es zur gleichen Zeit wie Turing gelungen, das Entscheidungsproblem mit einem mechanischen Ansatz zu lösen. Argumentation und Schlußfolgerungen sind weitgehend deckungsgleich, mit dem einen Unterschied allerdings, daß Post als Ausführende in seinem mechanischen Beweisverfahren hypothetische Fließbandarbeiter dienten. An das Verhalten der Fließbandberechner in seinem Modell stellte er exakt die gleichen Anforderungen wie Turing sie für seine Maschine formuliert hatte. Aus dem Vergleich der beiden Arbeiten folgt, daß zwischen einer Turing-Maschine und einem Fließbandarbeiter oder einer Fließbandarbeiterin in Bezug auf ihre Tätigkeit keinerlei Unterschied besteht.

Die These von Marx, der Mensch höre in der kapitalistischen großen Industrie auf, Mensch zu sein, er werde bloßes Anhängsel der Maschine, wird durch Turing und Post radikalisiert: Es besteht kein Unterschied zwischen ihnen. Der Mensch wird zu einer Maschine unter Maschinen. "A man provided with paper, pencil, and rubber, and subject to strict discipline, is in effect an universal machine" (Alan M. Turing).

Automatische Moderne

Turings Ausgangspunkt war die Frage, was Menschen tun, wenn sie Beweise führen, regelgeleitet handeln. Er hat gezeigt, daß Denken überhaupt, nicht bloß Rechnen, als formaler Prozeß beschrieben werden kann, als regelgeleitete und schrittweise Umbildung von Symbolen. Nicht nur die Arbeit am Fließband, sondern regelgeleitetes, logisch vernünftiges oder, anders ausgedrückt, algorithmisches Handeln überhaupt ist mechanisch.

Wenn man sich's recht überlegt, verhalten wir uns die meiste Zeit des Tages wie Maschinen. Ständig sind wir damit beschäftigt, Algorithmen zu komputieren, Listen von Vorschriften abzuarbeiten. Das kommt uns nur dann lächerlich vor oder unsinnig, wenn wir den Algorithmus nicht decodieren können, also den Sinn nicht verstehen. Beobachtet z.B. jemand, die nicht mit den Gepflogenheiten des motorisierten Individualverkehrs und dem begleitenden Regelwerk StVO vertraut ist, einen Verkehrspolizisten, der den Verkehr auf einer Kreuzung regelt, muß sie dessen Verhalten als Slapsticknummer einschätzen. 'Sinnvoll' erscheint uns dieses Verhalten nur, wenn wir zu den Eingeweihten zählen, die Einblick in den Regelapparat haben. Die Arbeit geht uns gleich leichter von der Hand, wenn wir einen Sinn darin sehen, wenn wir wissen, was hinten herauskommt. Mechanisches Handeln als sinnvolles Handeln zu bezeichen ist bloß beschönigende Umschreibung. Sinn ist der Begriff für das - wenn man so will - notwendig falsche Bewußtsein derjenigen, die sich mechanisch verhalten: "Immer 'rin, mein Junge, das hat 'n' Sinn, mein Junge!" (Bertolt Brecht, Ballade von den Säckeschmeißern)

Turing hat die allgemeinen Kriterien gefunden, mit denen die Mechanisierbarkeit und Automatisierbarkeit des Denkens, des Berechnens, der Produktion, ja unseres gesamten formalisierten Alltags entschieden werden können. Die Diskussion, ob dieser oder jener Ablauf in der Produktion, diese oder jene Steuerungsfunktion, dieser oder jener Denkvorgang von Maschinen erledigt werden können oder nicht, ist somit obsolet geworden: Sind Turings Kriterien erfüllt, ist das der Fall.

Automatisierung

Daß diese Einsicht gerade jetzt eine Renaissance erlebt, hat sicherlich damit zu tun, daß Produktion immer mehr identisch wird mit Berechnung. Produktion wird zu Programmieren. Software wird zur Hauptproduktivkraft. Rechenmaschinen sind Massenprodukte geworden. Jede kann sich für wenig Geld Rechenkapazität auf den Tisch stellen, die alles übertrifft, was in den 50er Jahren weltweit verfügbar war. Die Fähigkeiten der Rechenknechte beschämen die klassischen Arbeitertätigkeiten zusehends.

Daß es heutigen Automaten vor allem an motorischen und perzeptiven Fähigkeiten mangelt, liegt zum einen - Hans Moravec zufolge - an den Jahrmillionen Evolutionsvorsprung der Gattung Mensch. Außerdem ist Robotertechnik eine völlig vernachlässigte Forschungsrichtung, weil sie ähnlich wie die Solartechnologie die Überflüssigmachung geronnener Arbeitszeit sprunghaft vorantreiben würde. Der 'Horror' des Kapitals vor der menschenleeren Fabrik und vor der Verfügbarkeit kostenloser Energiequellen, liegt darin begründet, daß damit jede Mehrwertproduktion verunmöglicht würde.

Postkapitalistische Moderne

Über die lösbaren Aufgaben ist genug geredet worden! Sie können und werden früher oder später von Maschinen gelöst und prozessiert werden, sobald sie als lösbare = formulierbare = formalisierbare Probleme erkannt sind und die gesellschaftlichen Schranken einer Automatisierung der Modernisierung beseitigt sind. Die Sedimentierung der Technologie der Moderne als automatische Moderne, führt dann - untergegangenen Kulturen und Naturen gleich - zur 'technologischen Humusbildung', die die reproduktive Grundlage einer neuen Gesellschaft bilden kann.

Was bei Marx mit der Formel vom produktiven Müßiggang ausgedrückt ist, muß angesichts der Entwicklungen globaler Vernetzung dechiffriert werden als Betätigung des Menschen in einem weltweiten Netzwerk von sozialen und technischen Beziehungen. Das Steuern des weltweit agierenden technologischen Apparats zur Bedürfnisbefriedigung und das gemeinsame Organisieren der Weltproduktion ist in diesem Bild die Art und Weise, wie sich die Menschen zur Technologie verhalten werden. Dazu kommt der bei weitem größere Bereich der menschlichen Beziehungen, die heute notdürftig mit dem Adjektiv privat bezeichnet werden müssen.

Natur II

Die Auseinandersetzung um die Frage, wie die moderne (industrielle) Technologie sich zur Gesellschaft verhält, in der sie existiert, und was aus dieser Technologie werden wird, wenn der gesellschaftliche Rahmen sich ändert, ist schon sehr alt. Der Streit zwischen Technikeuphorikern oder Technokratinnenen, die Technik für abstrakte überhistorische Errungenschaften der menschlichen Gattung halten und Technikkritikern bzw. antimodernen Naturfetischisten wird dem Gegenstand nicht gerecht. Die moderne Technik (Technik der Moderne) wird nicht einfach weiterverwendet werden oder "humaner gestaltet" und auch nicht abgeschafft werden, sondern sie wird zu einer Selbstverständlichkeit werden. Sie wird automatisch um uns herum "arbeiten", sie wird zu einer Art Natur, wie die Luft, die wir atmen. Die Moderne sedimentiert und wird zum Untergrund, auf dem die nachmodernen Individuen barfuß gehen können.

Der Naturbegriff der bürgerlichen Gesellschaft ist oft kritisiert worden. Daß der Schwarzwald beispielsweise eine ausgesprochene Kulturlandschaft neueren Datums ist und daß der "Ausflug ins Grüne" nicht weniger eine kulturelle Veranstaltung ist, als ein Kinobesuch, ist schon oft gesagt worden. Was vor Jahrhunderten als Kulturleistung bewundert wurde, nämlich die Urbarmachung ganzer Landstriche für die Erfordernisse der Landwirtschaft, das ist heute schon längst sedimentiert und zu Natur, Landschaft, Naherholungsgebiet geworden. Dieser Gewöhnungseffekt an technologische oder Kulturleistungen wird sich auch weiterhin fortsetzen. Automatische Lebensmittelproduktion wird genauso zur "natürlichen" Selbstverständlichkeit werden, wie evolutonierende technische Dispositive. Damit ist kein Neuaufguß der These von den "guten" sozialistischen Kernenergieanlagen beabsichtigt. Was produziert wird und wie, wird gerade Gegenstand der Reflexion der vernetzten Individuen sein, die endlich Zeit haben werden, praktische Technologiekritik zu betreiben.

Nicht-Turingdenken

Doch nun zurück zu Turings eigentlichem Ergebnis, dem Beweis, daß es kein allgemeines Entscheidungsverfahren gibt. Es gibt nicht für jedes Problem ein Verfahren zur Feststellung der Beweisbarkeit. Dem Projekt des vollständig selbstbezüglichen und selbstgenügsamen mathematischen Formalismus sind damit seine Grenzen aufgezeigt. Aber die außermathematischen Folgen von Turings Beweis sind noch viel einschneidender. Wenn es Verhaltensweisen und Denkweisen gibt, die nicht in Regeln gegossen werden können, wenn nicht jedes Verhalten und jeder Gedankenvorgang analysiert, formalisiert und algorithmisiert werden kann, was für ein Denken und Verhalten ist das dann? Wie sieht dieses andere Denken /andere Verhalten aus?

Turing hat ein Verfahren gefunden, mechanisches Denken und Verhalten von nicht mechanischem Denken, mit Algorithmen lösbare Aufgaben von unlösbaren Aufgaben, redundantes (rationales) Denken und Verhalten von kreativem, nichtlinearem, unlogischem Denken und Verhalten zu unterscheiden. Turing trennt das Reich von Regel, Sinn und Verstand ab vom Irregulären, dem Unsinn, dem Amusement. Schon unser heutiges Denken enhält viele Aspekte, die aus der Formalisierbarkeit herausfallen.

Programmieren

Programmieren als Tätigkeit gehört nach allem bisher Gesagten unbedingt zum Turing-Denken. Es ist wie das Durchführen mathematischer Beweise eine rein mechanische, von abstrakten Regeln geleitete Beschäftigung. Es ist allerdings so, daß es -- und das ist eine Grunderkenntnis der Informatik - keinen Algorithmus gibt, der die Korrektheit eines Computerprogramms feststellen könnte. Um die Richtigkeit und Konsistenz eines Computerprogramms festzustellen, muß gezeigt werden, daß es in endlicher Zeit anhält (hier taucht das Halteproblem wieder auf!). Programmieren muß stets einer nicht formalisierbaren Überprüfungspraxis unterworfen werden. Genau an dieser Stelle fällt Programmieren aus dem Turingdenken heraus. Vilém Flusser hat die These aufgestellt, daß sich der postkapitalistische Mensch im Wesentlichen mit Programmieren beschäftigen wird. Vernetztes, interaktives Programmieren ist für Flusser das genaue Gegenteil der von ihm für das industrielle Zeitalter als charakteristisch angesehenen "typisierenden" Tätigkeit. Es macht keinen Sinn, zweimal das gleiche Programm zu schreiben, anders als beim Herstellen eines Autos, bei dem gerade das Identischsein, das Typische das Ziel der Produktion ist: Ein einmal geschriebenes Programm muß niemals mehr geschrieben werden.